Was bleibt ?

Das hier ist tatsächlich mein letzter Eindruck vom Petersburger Flughafen. Also ein guter Moment, um mal Resümee zu ziehen über unsere Zeit in Rußland. Über den auffälligen Kontrast zwischen jungen und älteren Frauen hatte ich ja schon ausführlich geschrieben. Tatsächlich ein Phänomen, das uns auch nach dem Verlassen des Landes beschäftigen sollte. Noch tagelang verglichen wir die einheimischen Frauen mit denen in Rußland. Von den 20 Leuten in der Truppe waren halt 19 Männer. Auch über die vielen Menschen, die einfach nur herumstanden in den Hallen, über die vielen Securities schrieb ich schon. Insgesamt herrscht eher ein ruppiger Ton vor in Rußland.

Auch augenfällig ist der Verfall; selbst neue Gebäude zeigen ihn schon, indem entweder schlampig, oder erst gar nicht richtig zuende gebaut wird. Ältere Gebäude scheinen nur selten renoviert zu werden (es sei denn, sie sind touristisch wertvoll). Das ist schade, aber eben vielleicht auch ein Synonym für die Gesamtsituation im Land.

Auf der anderen Seite muß ich sagen, daß sich manches Vorurteil nicht bewahrheitete: in Deutschland spricht man manchmal abfällig von einer Russentruppe, wenn osteuropäische Helfer mit schlechten Deutschkenntnissen und der Neigung zum Verdunsten Drücken vor der Arbeit eingesetzt werden. Die Helfer in Rußland waren zwar oft des Englischen nicht mächtig, aber immer zur Stelle und warteten geduldig und gut sichtbar, wenn es mal nichts zu tun gab. Drückeberger erlebten wir nicht. Auch vergaß ich in Moskau meinen Ledermann in der Halle; am nächsten Morgen konnte ich ihn ordentlich beschriftet im Hallenbüro abholen. Wenn wir ehrlich sind, dann wäre er in Deutschland verschwunden gewesen.

Mir ist klar, daß mein Eindruck stark verfälscht ist von der Tatsache, daß ich das Land nur unter Zeitdruck und nur aus der Perspektive der Veranstaltungshallen sah. Ich hatte nie die Gelegenheit, die schönen Seiten der Städte, oder gar Alltagsleben zu sehen. Ich hatte nie die Gelegenheit, wirklich die Menschen kennenzulernen, konnte nicht hinter die rauhe Schale der Einheimischen schauen, hinter der sich vielleicht dann doch sehr nette Leute verbergen. So bleibt das Bild eines rauhen, ruppigen Landes, bei dem man froh ist, wenn man es wieder verläßt, auch wenn man weiß, die wahren Perlen vielleicht nicht gefunden zu haben. Vielleicht ergibt sich ja noch mal die Gelegenheit, mit mehr Zeit durch Rußland zu reisen.

Goodbye Lenin

Die Reise von Ekaterinburg nach Helsinki ist mit einigen Schmerzen Hürden versehen. Die erste Hürde heißt Lobby – Call und der ist bereits um 03:00 Uhr. Ich weiß, daß Ihr versteht, daß ich aus dieser Zeit keine Photos habe. Vom Hotel geht es zum Flughafen und von dort nach St. Petersburg. Bevor ich im Flieger wieder einnicke stelle ich noch fest, daß diese gelben Natriumdampflampen der Straßenlaternen von oben eine schöne, heimelige Stadtbeleuchtung abgeben. Dann bekomme ich erst wieder mit, daß mich die Stewardess recht ruppig weckt, weil ich die Lehne wieder hochstellen soll. Sie behauptet, sie habe es erst freundlich versucht. Gähn. Ich glaube ihr nicht und will in einen Nightliner.

In Petersburg angekommen stellen wir fest, daß wir auf dem Inlandsflughafen sind und per Bus zum Auslandsflughafen fahren müssen. Aha. Die anderen Fahrgäste des Busses sind über unsere Kofferberge nicht gerade erfreut. Wir auch nicht. Ich stelle fest, daß ich mittlerweile bereits jeden Koffer unserer zwanzigköpfigen Truppe einem Mitreisenden zuordnen kann. Nach knapp 20 Minuten sind wir da. Jetzt haben wir 4h Wartezeit. In Worten: vier Stunden. Es gibt keine andere Verbindung am Wochenende. Die Haupthalle des Flughafens darf man erst zwei Stunden vor Abflug betreten, wir hängen also in einer Vorhalle ab, sind die einzigen Gäste des einzigen Cafes dort und bringen die einzige Kellnerin ganz schön auf Trapp. Es gibt im ganzen Flughafen, zur Erinnerung: wir sind im internationalen Flughafen St. Petersburg, keine ausländische Tageszeitung zu kaufen.

Zwei Stunden vor Flug dann haben wir Zutritt zur Haupthalle. Aber erst müssen wir durch die Sicherheitsschleuse. Mit allem Gepäck und mit Bodyscan. In Deutschland sind die Dinger ja wegen Persönlichkeitsrechten verboten, hier werden wir bis auf die Haut durchleuchtet. Ich ziehe den Bauch ein, um besser auszusehen; Reiny, unser Backliner, macht den Moonwalk. Natürlich muß ich meinen Koffer ausräumen und den Sicherheitsleuten die Laserhandschuhe erklären. Wir dürfen einchecken und ein Teil der Truppe reist plötzlich BusinessClass. Alle Techniker, aber eben nicht alle Sänger und Bandmitglieder. Später in Helsinki höre ich zufällig wie zwei Bandmitglieder sich darüber aufregen, daß sie normal, wir Techniker aber Business flogen. Mir ist es bei einem 50minütigen Flug fast egal, genieße aber trotzdem die größere Beinfreiheit.

Zu den Privilegien eines BusinessClass – Reisenden gehört, daß man auch in die Business – Lounge darf. Dort gibt es kostenlos Snacks, Getränke und jede Menge Alkohol. Für Letzteres ist es mir noch zu früh, andere sind weniger zimperlich und testen ausgiebig die russische Destillationskunst. Außerdem, fast schon eine Sensation, gibt es deutsche Tageszeitungen. Vom Vortag, aber immerhin. Der Tagesspiegel ist kopiert und kein Original. Die Mädels am Tresen erklären mir, daß die Lounge von den nichtrussischen Fluggesellschaften betrieben würde und daß es deshalb auch etwas anderes als Russisch zu lesen gäbe.

Beim Boarding dann noch ein zweiter Sicherheitscheck. Dieses Mal müssen wir nicht nur Mäntel, Jacken und Gürtel ausziehen, sondern auch die Schuhe. Eine Karawane von Reisenden in blauen Einmalsocken trabt durch die Schleuse, mit einer Hand die rutschende Hose hochhaltend. Ich freue mich, daß wir uns noch nicht bis zur Unterhose ausziehen müssen. Nach dem Metalldetektor werden wir abgetastet. Komplett und überall. Ich bin ein Terrorist.

Beim Betreten der FinnAir – Maschine stelle ich fest, daß auch Frauen über 30 freundlich lächeln können. Nach den Tagen in Rußland ist diese Feststellung sehr erwärmend und ich freue mich über die natürlich – freundlichen Stewardessen um die 40, die ich sonst nicht besonders beachtet hätte.

Bei Tageslicht kann man dann sehen, daß sich der nationale und der internationale Flughafen in St. Petersburg die selbe Landebahn teilen, die auch als Taxiway genutzt wird. Scheint also nicht viel loszusein dort. Da erscheint die Trennung der Gebäude als Reisender natürlich doppelt ärgerlich und auch aus wirtschaftlicher Sicht verstehe ich es nicht. In Zeiten des kalten Krieges mag sowas ja seinen Grund gehabt haben, aber heute ?  Egal, die Maschine nimmt Anlauf, hebt ab, wir sind weg.

Streß

Auch wenn ich hier im Blog immer noch in Rußland weile, so bin ich in der Realität nach Finnland, Lettland, Estland, Litauen und Polen lange wieder in Deutschland angekommen. Leider ist die Produktion so arbeitsreich, daß ich einfach nicht zum bloggen komme und schon 11 Tage hinterherhänge. Mal sehen, wie sich das hier entwickelt, auf Dauer kann es nicht so bleiben; nicht wegen des Bloggens, aber wegen des Tagesablaufs. Wir brauchen doch etwas mehr Ruhe zwischendurch.

Die Show in Ekaterinburg

Die Techniker in Petersburg und Moskau hatten uns schon gewarnt: wir würden die Zivilisation verlassen, wenn wir an den Ural führen. Ganz so schlimm ist es nun nicht, aber es ist schon ein deutlicher Unterschied zu spüren. Die Halle ist ein durchgängig nach Popkorn riechender Kinokomplex, dessen größter Saal mit Veranstaltungstechnik aus den 80ern ausgestattet ist (man achte mal auf den Groundsupport der Backtruss). Angeblich sei in der ganzen Umgebung nichts moderneres zu finden; das Lichtpult, eine Roadhog, kam schon mit uns aus Moskau mit dem Flieger. Dabei ist die Stadt je nach Quelle die dritt- oder viertgrößte Stadt Rußlands.

Das Personal ist sehr bemüht, unseren Rider zu treffen, aber es ist schon eine recht improvisierte Show. Statt moderner Striplights gibt es beispielsweise diese Rock ’n‘ Roll – Lösung. Jedenfalls kommt da anständig was raus. Eine andere schöne Lösung wird uns statt des nicht vorhandenen Stardrops (Sternenvorhang) präsentiert. Vor einem schwarzen Vorhang baumeln einfach auf drei unterschiedliche Dimmerkreise gesteckte Tannenbaumlichterketten, die mittels Chaser animiert werden. Geht doch. Auch zumindest eines der im Rider geforderten Keyboards stammt nicht von einem professionellen Backlineverleiher: auf den Tasten kleben Bildchen und Buchstaben, die Kindern das Lernen vereinfachen sollen. Ich wüßte ja schon gern, in welchem Wohnzimmer man für einen Tag auf das Instrument verzichten mußte.

Dennis, unser Monitormann, ist aufgrund seines Alters und seiner bisherigen Studiokarriere mehr oder weniger ausschließlich hochwertige moderne Digitalpulte gewohnt und steht zum ersten Mal in seinem Leben vor einem betagten Soundcraft SM20, einem Pult, das erst dann richtig klingt, wenn es bei +20dB ordentlich brennt. Eine klare Herausforderung für ihn, weil seine normalen Pulte die 0dB bitte nie berühren dürfen, damit es nicht digital scheppert.

Auch sehr schön ist der Blick in die Brandmeldezentrale des Hauses. Ich bin sicher, daß man dort einen Feueralarm nicht überhören kann, selbst wenn der Wachhabende bereits verstorben ist.

Von den in großen Gruppen überall herumstehenden Securities erzählte ich ja schon. Auch sonst scheinen die Personalkosten in Rußland noch gering zu sein. Wenn man beispielsweise darum bittet, vor der Show die Bühne gereinigt zu bekommen, dann kommt nicht eine Reinigungskraft sondern direkt ein ganzer Trupp, der äußerst gewissenhaft arbeitet. Ich war fast erschrocken, als ich die vier Frauen anrauschen sah, weil ich das nicht gewohnt bin, vom Ergebnis aber überzeugt.

Aus Ekaterinburg kann ich sogar eine Sehenswürdigkeit zeigen, aber auch nur, weil wir direkt daneben spielten. Die Kirche stehen an der Stelle, an der die Zarenfamilie Anfang des letzten Jahrhunderts ausgelöscht wurde. Es gab sicher Zeiten, in denen man dessen sehr stolz war; heute möchte man da zumindest von Seiten unserer Betreuer nicht mehr so gern drüber sprechen.

Die Show lief dann trotz aller Improvisation sehr gut und die Reaktion des Publikums war super. Ich hatte allerdings mit Abstand den ältesten Spot der Tour zu bedienen. Ein altes Teil ohne Dimmer, nur mit Shutter, er kannte also nur 100% an oder eben aus. Für unsere Show nicht immer ideal. Da es auch kein echtes Interkom gab, sondern nur eine Einwege – Komandostrecke, kam es zu einer recht lustigen Gegebenheit. Zum Showbeginn fing plötzlich ein zweiter Spot mit an zu leuchten und keiner wußte, wer den denn wohl bediente. Auch zog er die Iris immer viel zu weit auf, so daß die halbe Bühne beleuchtet war. In der Pause stellte sich heraus, daß einer der Helfer der Meinung war, daß zwei Spots einfach besser aussehen als einer und daß er darum einfach mal mitgemacht hatte.

Sonst war aber alles gut und nach der Show wurde ich wieder von einigen Zuschauern angesprochen, wir sollten doch auf jeden Fall wiederkommen. Ich erklärte ihnen, daß sie doch bitte den örtlichen Veranstalter anrufen sollten, denn der müsse uns ja buchen. Sie versprachen, es zu tun. Mal sehen, ob und wann wir also wieder in die Gegend reisen. Nach der Show dann ganz, ganz schnell weg, denn um 03:45 war schon wieder Lobby – Call für unseren Flug nach Helsinki.

Von Moskau nach Ekaterinburg

In den letzten Tagen sahen wir gar nichts von den schönen Seiten der Städte, bewegten uns immer nur in den schraddeligen Stadtteilen, gewissermaßen im tiefen Osten. Und das ändert sich auch nicht bei der knapp einstündigen Fahrt vom Hotel zum Flughafen. Es gibt einige wenige Monumentalbauten, nur wenige schöne Vorkriegssubstanz, ansondern viele Bausünden aus sozialistischer und postsozialistischer Zeit. Dabei könnten die Städte durchaus viel schöner wirken, wenn man ihnen mal ein paar Pötte freundlicher Farbe spendierte. Direkt am Moskauer Autobahnring liegen auch einige große, alte Märkte, die beim Vorbeifahren wie eine Kombination aus Trödel- und Baumarkt aussehen. Da könnte man neben bei den klassischen Sehenswürdigkeiten sicher auch einen ganzen Tag verbringen. Allerdings wird man ohne Dolmetscher da nicht richtig weiterkommen. Aber es würde mich ja schon mal interessieren, weil auf solchen planenverhangenen Märkten einfach das echte Leben pulst.

Für mich auffällig ist auch der extrem hohe Teil an übergroßen Konzertplakaten im Stadtbild; sie halten sicher 25% an der Gesamtwerbefläche. Beworben werden neben wenigen einheimischen Künstlern viele Shows, die man auch von zuhause kennt: Riverdance, a-ha, Metallica, aber auch Rammstein, Hansi Last und erstaunlicherweise inExtremo.

Während des Flugs nach Ekaterinburg merkt man dann, wie groß und leer Rußland ist, obwohl wir für russische Verhältnisse ja gar nicht weit fliegen. Zu sehen ist im wesentlichen erst leicht, später dann stärker verschneite Landschaft, breite, meandernde Flüsse, zugefrohrene Seen, sich bis zum Horizont schnurgerade hinziehende Straßen & Eisenbahnstrecken. Von oben ein ruhiges und friedliches Land, in dem man sicher tagelang wandern kann, ohne jemandem zu begegnen. Wir konnten teilweise 15 Minuten lang fliegen, ohne die Lichter einer Stadt zu sehen.

Bei der Ankunft in Ekaterinburg erst mal der Eindruck, daß nach einem richtigen Wortanfang der Typograph sich einen Scherz erlaubt hat; aber natürlich ist es eben Kyrillisch. In der Halle mit den Gepäckbändern residiert eine getiegerte Katze in krüppeligen Topfpalmen und beobachtet majestätisch und schläftig das Treiben. Auch ein Weg gegen Mäuse und Ratten.

Für Tontechniker ist die Gegend hier ja legendär; immerhin wurden in einem Vorort von Ekaterinburg vor Jahren Kompressoren erfunden und werden bis heute weltexklusiv für die verschiedenen Marken gebaut. Nur ein Kompressor aus Kompressorniy ist eben der Echte mit der Goldkante.

Weniger Goldkante ist der Bus, der uns durch die Gegend schaukeln soll. Die Luken zu den Gepäckfächern lassen sich angeblich nicht öffnen und so hiefen wir alle Koffer und Taschen durch die hintere Türe auf die Sitze. Dieser vorgeblich kurzfristig aufgetretene Fehler war auch anderthalb Tage später bei unserer Abreise noch nicht behoben. Wenn man sich den Bus näher anschaut, dann liegt der Gedanke nicht sehr fern, daß dieses Problem schon länger besteht. Kurzfristigkeit ist aber natürlich im Universum auch relativ.

Im Hotelgebäude kommen dann plötzlich Heimatgefühle auf: das deutsche Konsulat ist hier beheimatet. Ich gehöre im Urlaub eher zu den Menschen, die sich von Landsleuten fernhalten, bin keiner, der jetzt übermäßigen Heimatstolz pflegt. Aber mitten in der russischen Unfreundlichkeit ist allein so ein Schild mit Bundesadler ein wärmender Lichtstrahl.

Nach dem Einchecken waren wir dann noch auf Einladung des örtlichen Veranstalters recht lecker essen. Die örtliche Küche ist gut gewürzt und schmackhaft. Ein deutlicher Kontrast zum Essen am Vorabend. Nur die Kellnerinnen ließen ihren russischen Charme leider nicht so richtig sprühen. In einem Nachbarort gab es mehrere Schweinegrippenfälle. Später während der Reise werden wir gerade an Flughäfen noch viele Menschen mit solchen Mundschutzen sehen. Lustigerweise oft nach unten über’s Kinn gezogen, den Mund frei.

Show in Moskau

Unser Moskauer Konzert fand in der Crocus City Hall statt, einem nagelneuen Komplex direkt an der Ringautobahn. Ehrlicherweise war die Situation in dem Haus ähnlich wie die des Berliner Admiralspalast kurz nach der Wiedereröffnung: vorne heraus war alles toll, aber Backstage die Bauarbeiten noch in vollem Gange. Der Laden ist erst mal üppig mit allem ausgestattet, was das Herz begehrt. Statt des einfachen LED – Stardrops bekamen wir beispielsweise ohne zu zucken einen komplett videofähigen LED – Vorhang. Auch Theaterfackeln und Brandschalen waren da und alles in gutem Zustand.

Wie reichlich in der Halle alles vorhanden war, mag ein Blick allein auf die PA verdeutlichen. MILO mit 700HPs. Von allem so reichlich, daß man auch eine 15.000er Arena damit locker hätte beschallen können; in die Halle passen aber nur 4.500 Leute. Leider war die PA aber nicht optimal eingemessen, so daß der Klang im Parkett zwar gut, im zweiten Rang allerdings eher äußerst bescheiden war. Und dummerweise gewährte man uns keinen Zugriff auf das Gallileo, um das zu verändern. Da ist dann so viel Frontholz zwar eine optische Schwanzverlängerung für den Haustonmann, aber in etwa so nützlich wie ein altes Martin – Stack. Auch das XL8 als Frontpult gehört sicher mit zu dem teuersten, was man als Livepult für Geld so kaufen kann, ist aber nicht ohne Grund eines der am schlechtesten verkauften Konsolen: die Bedienbarkeit läßt einfach schwer zu wünschen übrig. Zugegebenermaßen klingt es wenigstens Midas.

Im Venue vertiefte sich dann ein Eindruck, den ich schon am Vortag hatte: es stehen einfach unglaublich viele Leute einfach nur rum. Securities überall. Viel zu viele. Es werden Unmengen an Leuten einfach nur dafür bezahlt, dicknackig rumzustehen. Nicht nur in den Venues und den Hotels, sondern auch auf der Straße; ein Land voller wichtiger Rumsteher. In der Showpause stehen fünf Secus mit verschrängten Armen vor der Bühne, unnahbar, kampfbereit. Man möchte glauben, daß Putin himself da gleich auftritt. Mindestens. Auch während der Show laufen auf den Seitenbühnen ständig Ohrstöpselträger. Mir gefällt die Atmosphäre nicht.

Die Mitarbeiter des Venues zeigen kaum Bereitschaft, Englisch zu sprechen. Selbst wenn man den Eindruck hat, daß sie genau verstehen, was man von ihnen will, braucht man immer einen Dolmetscher. Allein der russische Promoter ist immer bemüht und motiviert, alles andere dauert oft ewig. Zugegeben: letztlich klappt dann das meiste.

Die Show läuft dann bis auf den nicht optimalen Sound im Rang sehr gut. Das Publikum ist sehr zufrieden und weil ich heute mit meinem Spot direkt zwischen den Leuten stehe, bekomme ich nach der Show viele positive Reaktionen. Wir sollen auf jeden Fall wiederkommen. Das will man doch hören. Interessant übrigens, daß wir in Petersburg und Moskau komplett drahtlose Interkomsysteme hatten. Das will in Deutschland bisher kaum jemand bezahlen.

Nach der Show dann in das direkt neben der Halle liegende Hotel, das … nun … sagen wir mal: nicht ganz unsere Erwartungen an Freundlichkeit erfüllte. Aber davon später mehr.

Nighttrain to Moscow

Wie kommt man zuverlässig von St. Petersburg nach Moskau, wenn man keinen Nightliner dabei hat und der letzte Flug vor Showende geht ?  Genau, mit dem Nachtzug. Auch zugfahren ist in Rußland natürlich etwas anders als in Deutschland. So werden beispielsweise die Gleise erst etwa fünf Minuten vor Abfahrt angezeigt. Die Fahrgäste tummeln sich also alle in der Empfangshalle des Bahnhofs und mit Ansage des Gleises stürzen sie dann zum angegebenen Bahnsteig. Was bei uns mit dem ganzen Gepäck (Specials und alle Kostüme müssen ja neben den privaten Klamotten auch transportiert werden) schon eine kleine Aktion ist. Aber Tourmanager Chris Brown hat alles immer perfekt organisiert und so geht es natürlich auch hier gut.

Bei Einfahrt des Zuges stellt man dann fest, daß die Wagennummern nichts mit der Wagenreihung zu tun haben, das geht alles durcheinander. An jeder Türe stehen zwei uniformierte, streng blickende Schaffnerinnen, die auch völlig humorlos reagieren, als wir klassenfahrtsgleich angestürmt kommen und die Sänger sie photographieren wollen. Also erst mal rinn in die juute Stube. Wir haben einen ganzen Waggon für uns, trotzdem dauert es natürlich eine ganze Zeit, bis dann alle ihr Bett gefunden haben und alles Gepäck verstaut ist.

Die Fahrt selbst verläuft dann völlig unspektakulär. Die Waggons sind zwar alt und deutlich gebraucht, aber in sehr gut gewartetem Zustand. Da klappert nichts. Tatsächlich verläuft die Fahrt deutlich ruhiger, als in manchem CNL der Deutschen Bahn, was meine ostdeutschen Technikerkollegen dazu verleitet, den alten Spruch: „Vom russischen Bruder lernen heißt siegen lernen.“ wieder auszugraben. Dieses Mal stimmt der Spruch tatsächlich.

Morgens bei der Einfahrt ins leicht verschneite Moskau fällt mir auf, wie viel hier eigentlich aus Metall ist. Kilometerlange, verrostete Blechzäune beispielsweise. Ich habe den Eindruck, daß hier viel mehr aus Eisen ist, als bei uns.

Vom Bahnhof dann schnell ins Hotel, einchecken, und dann ins Venue nebenan.

Weltpremiere in St. Petersburg

Die erste richtige Show unserer Tour hatten wir also dann in St. Petersburg in der Neuen Eisarena. Gitarrist Jörn Heilbut freut sich, daß unser Plakat im Halleneingang neben ein paar anderen Namen hängt, die so unbekannt ja auch nicht sind. Für uns Techniker ist in Rußland die Herausforderung, die Show mit örtlichem Material so originalgetreu wie nur irgend möglich hinzubekommen; unsere eigene Produktion haben wir nämlich erst ab Riga. Den Streß mit dem russischen Zoll wollten wir uns nicht antun. Das ganze klappt sogar recht gut. Der russische Promoter ist sehr engagiert und macht recht viel möglich.

Größere Bedenken hatte ich im Vorfeld bei unseren Brandschutzabnahmen mit der Feuerwehr. Wir haben doch einiges an Feuer auf der Bühne und bei russischen Behörden weiß man ja nie, was einen erwartet. Auch die örtlichen Veranstalter trugen im Vorfeld nicht gerade zur Beruhigung bei, weil sie alle sehr aufgeregt taten. Tatsächlich waren dann alle Abnahmen in Rußland ziemlich locker. Ich habe meinen Kram vorgeführt und erklärt, die Beamten haben dazu freundlich genickt und alles war gut. Als ich darauf den russischen Promoter ansprach grinste er nur und meinte: „Security is in Russia about 100cm² big and has numbers on it.“. Da waren also im Vorfeld finanzielle Entscheidungshilfen geflossen.

Eingeweihte Kreise nennen mich ja auch den Schleifchen – Markus, weil ich auf eine vernünftige Deko schon Wert lege, was in Rußland zwischenzeitlich schon auf einiges Unverständnis stieß. So wollte ich beispielsweise alle Cases, die vom Publikum aus sichtbar waren, mit Molton (schwarzer Stoff) verhangen haben. Die russischen Techniker geben sich für solche Arbeiten nicht her, für Schönheitsoperationen sind traditionell die Frauen zuständig. Und so war dann ein Trupp Putzfrauen damit beschäftigt, schwarze Lappen liebevoll mit viel Tesafilm (!) um die Cases zu drapieren. Auch die Abhängung an der Bühnenvorderkante wurde von diesen Damen betreut. Eine Regelung, die in Deutschland sicher auch vielen Helfern gefallen würde.

Wenn wir mit unserer eigenen Produktion unterwegs sind, dann bin ich während der Show für die beiden verfahrbaren Vorhänge zuständig. Die haben wir in Rußland nicht und so habe ich während der Show Zeit. Da es aber auch keinen eigenen Trucker gibt, der normalerweise den Followspot fährt, fiel diese Aufgabe mir zu. Ich habe das jetzt über 10 Jahre nicht mehr gemacht und es war ganz lustig, mal wieder da oben zu stehen. Örtliche Spots sind immer so eine Sache; jeden Tag ein anderes Modell und vor allem: jeden Tag Follows in sehr unterschiedlichem Zustand. Der Spot in Petersburg ging eigentlich, nur die Tilt – Bewegung (rauf/runter) hätte dringend mal gefettet werden müssen, das ruckelte schon arg.

John, der Lichtmann, mußte jeden Tag die programmierte Show auf das vorhandene Material umprogrammieren. Das hat er aber in allen Städten gut hinbekommen, so daß wir eigentlich immer eine mehr oder weniger originale Show ablieferten. Und das, obwohl er manchmal Lampentypen erst mal im Pult anlegen mußte, weil es die exotischen oder uralten Geräte in der Software gar nicht gab.

Die erste Show war dann auch ein guter Erfolg und ließ uns alle etwas entspannter den nächsten Tagen entgegensehen. Für uns stand noch in der Nacht die Reise nach Moskau an. Mit dem Zug. Davon dann später mehr.

Reise nach St. Petersburg

Am Hamburger Flughafen erwartete uns dann nicht nur unser erstes Einchecken, sondern auch ein immerhin zweiköpfiger Shantychor. C-V und Simon waren meiner Bitte gefolgt und tatsächlich zum Flughafen gekommen, um mir ein Ständchen zu singen. So schallte dann „Junge, komm‘ bald wieder“ in herbem Männergesang durch die Hallen; sehr zum Amusement meiner Mitflieger, sehr zur Irritation anderer Reisender, sehr zu meiner Freude, denn ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, so feierlich verabschiedet zu werden. Euch beiden also an dieser Stelle ein ganz lieber Dank !

Die Maschine der airBaltic, in die wir dann stiegen, fanden wir als Techniker übrigens ideal beschriftet: immerhin ist die Tipprichtung klar angegeben, wenn sie mal in den Truck muß.

In Riga stiegen wir dann in die schon beschriebene Fokker 50 ein, von der auf diesem Flughafen eine ganze Staffel stand. Beide Flüge gingen reibungslos vonstatten. In St. Petersburg dann ein erster Eindruck der russischen Seele: bei der Ausweiskontrolle eine Frau, völlig ausdruckslos stempelt sie Paß und Visum, grüßt nicht, lächelt nicht, arbeitet robotergleich. Und auch die ersten jungen russischen Frauen geraten in unsere Aufmerksamkeit. Ein atemberaubendes Thema, das uns noch häufiger beschäftigen wird.

Erst mal geht es aber mit dem Bus vom Flughafen ins Hotel. Kaum haben wir das Flughafengelände verlassen, scheinen uns auch schon die großen Leuchtreklamen von Metro und Obi entgegen. So hatte ich mit die Ankunft in Rußland eindeutig nicht vorgestellt. Da fliegt man stundenlang und dann sieht man nicht kyrillische Vodkareklame, sondern schnöde, deutsche Logi. Globalisierung ist in diesem Fall ganz eindeutig desillusionierend.