Überraschungsfest

Gestern Abend war ich in der Color Line Arena, um mir Florian Silbereisens Überraschungsfest der Volksmusik anzusehen. Die Tour wird auch durch unser Unternehmen betreut und da wollte ich doch mal schauen, was die Kollegen so treiben. Wegen Klönerei verpaßte ich schon mal faktisch die ganze erste Hälfte, weshalb ich Euch nichts von den Soloauftritten der Dorfrocker, der Randfichten, von Patrik Lindner und der chinesischen Sängerin Ling erzählen kann, sorry.

Daß Florian Silbereisen als Moderator auch musikalisch (und tänzerisch) nicht zu kurz kommt, versteht sich ja von selbst. Neben seiner Steirischen spielt er in dieser Show auch Keys und Gitarre.

Einen großen Teil der Sänger der Show kann man hier zusammen mit dem Deutschen Fenrnsehballett des MDR bewundern. Der Name „Deutsches Fernsehballett“ bekommt übrigens einen recht lustigen Klang, wenn man dann die Namen der Tänzer hört. Demnach müßte die Truppe eigentlich „Osteuropäisches Fernsehballett mit zwei deutschen Gästen“ heißen, was aber dem tänzerischen Ergebnis keinen Abbruch tut; der ist trotzdem gut.

Von Pannen bei fremden Shows soll man ja nicht so viel erzählen; darum formuliere ich das hier mal positiv: Tourrigger Störty rettete durch schnellen und beherzten Einsatz die Show. Für Eingeweihte: ja, das da unten ist eine King – Schiene mit obenliegender Seilführung… ;-)

Nachdem ich in der ersten Hälfte ja schon einiges verpaßte, hatte ich aber doch das Glück, den Soloauftritt Wencke Myhres zu sehen. Zugegeben: zu meiner frühkindlichen Sozilisation gehörte auch ihre Musik, weil meine Mutter großer Fan von ihr war.

Es ist klar, daß neben aktuellen Songs ihre alten Hits wie das „knallrote Gummiboot“, oder eben „Er steht im Tor“ nicht fehlen durften. Gerade letzteren Song konnte ich komplett mitgröhlen. Schon interessant, was man in 35 Jahren nicht vergißt, wenn man es als Kind oft genug gehört hat. Mit beim Song dabei: Sepp Maier. Der kann nicht nur gut Tore halten, sondern auch noch ein paar andere verblüffende Dinge, von denen hier aber nichts verraten werden soll. Schließlich heißt die Show ja Überraschungsfest.

Auch wenn die Musik nicht meine Welt ist, so fand ich die Show doch ein sehr gutes Produkt für die ja schon ältere Zielgruppe. Das Bühnenbild ist durchdacht und sehr verwandelbar, es gibt einige wirklich witzige Gimmicks und vor allem: es ist vom ersten bis zum letzten Ton eine Liveshow mit guten Musikern und Solisten. Außerdem gibt es mit dem Ballett auch noch was für’s Auge. Wer also volkstümliche Musik und Schlager mag, der wird hier hervorragend bedient.

Cadillac Records

In den letzten Jahren gab es einige Filme über die Geschichte von Musikern; warum also nicht auch ein Film über ein Label. Chess Records war in den Fünfzigern die Keimzelle für Blues und Rock ’n‘ Roll, machte als erstes schwarze Musik auch für Weiße populär. Und weil erfolgreiche Musiker einen Cadillac bekamen, hieß die Plattenfirma bei den Künstlern bald so, wie auch der Film: Cadillac Records. Über die Verfilmung liest man nun Lobeshymnen und Verrisse, und weil die Bandbreite der Kritiken so groß ist kann man schon mal sicher sein, daß sie sehenswert ist.

Wenngleich ich der Meinung bin, daß der Film gut zehn Minuten länger hätte sein müssen, um besser auf die gesellschaftliche und politische Situation zur Entstehungszeit eingehen zu können, so finde ich das Werk doch sehr gut gemacht. Es ist ja immer schwer, Musiker durch Schauspieler darstellen zu lassen; das ist hier hervorragend gelungen. Vielleicht auch, weil man größtenteils eben keine Schauspieler, sondern aktuelle Musiker besetzte, die ihre Sache wirklich überzeugend rüberbringen. Auch finde ich gut dargestellt, daß es gar nicht so einfach ist, als Star zu leben, daß viele am Starsein zerbrechen und daß es auch für das Management nicht immer klar ist, wie man nun Künstler optimal betreut.

Ich fühlte mich jedenfalls bestens unterhalten; die Geschichte ist gut, die Musik wirklich hervorragend und so kann ich Euch den Film sehr empfehlen. Unten noch den Trailer.

So schnell verändert sich die Stadt

Roland bedachte mich mit einem Buch über meine Wahlheimat Hamburg, in dem die Veränderung des Straßenbilds zwischen 1933 und 1940 sehr gut zu beobachten ist, was mich tatsächlich in dieser Form erschreckt. Gerade zwischen 1933 und 1935 sind die Veränderungen so offensichtlich, zieht der Nationalsozialismus so offen in das Gesicht der Stadt ein, daß es schon verwunderlich ist. Dabei war Hamburg ja zwischen den Kriegen eine rote Stadt, was bei den vielen Arbeitern, die in Hafen, Werften und Industrie benötigt wurden, kein Wunder ist. Viele von ihnen scheinen aber Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit den Glauben an „ihre“ Partei verloren zu haben und schwenkten vom Sozialismus zum Nationalsozialismus. Ehrlicherweise ist der Weg ja gar nicht so weit.

Während die Bilder eine eindeutige Sprache sprechen, ist der Autor mit seinen Texten doch zu zweifeln. Mehrfach betont er, daß nach Außen hin es natürlich alles sehr mit Hakenkreuzen übersäht war und die Männer fast ausschließlich in Uniformen steckten, aber man nicht wisse, wie es denn in den Köpfen der Leute aussah. Das ist natürlich gut für eine These, aber in meinen Augen nicht Erklärung für alles.

Schade finde ich auch, daß mit den Bildquellen nicht eindeutig umgegangen wird. Zwar werden in der Einleitung drei Photographen namentlich erwähnt, es ist aber leider im Buch nicht möglich, die Bilder konkret zuzuordnen. Oben seht Ihr übrigens eine frühere Einrichtung des Hamburger Doms, die man dringend mal wieder einführen sollte: die sogenannten Zusammenstoß – Boote sind eine hanseatische Ausführung der heutigen AutoScooter. Für den Sommerdom bestimmt eine tolle Attraktion.

Trotz der etwas beschönigenden Texte und der nicht eindeutigen Bildzuordnung finde ich das Buch gelungen, weil es in klaren Bildern den Wandel der Stadt innerhalb kürzester Zeit zeigt.

Reise in die Geschichte im Jetzt

Von meiner Wunschliste bekam ich ja schon zwei Bücher; das erste der beiden möchte ich Euch hier jetzt vorstellen. Eberhard Neubronner war in den vergangenen Jahren häufiger im Piemont unterwegs und ein Tal faszinierte ihn so sehr, daß er ein dreiviertel Jahr dort blieb. Das Buch beschreibt diese Zeit in Form eines Briefwechseln mit einem befreundeten Arzt und vielen, sehr schönen Photos.

In den Höhen des Piemonts leben heute noch etwa 4% der Einwohner von vor 200 Jahren, nur noch 3 von 36 Almen sind bewirtschaftet, es gibt also eine massive Landflucht. Ein Leben ohne Strom und Telephon kann man sich vielleicht im Urlaub mal für eine begrenzte Zeit vorstellen, aber auf Dauer wollen auch die dort Geborenen im Jetzt ankommen. Das Buch zeigt diese Gegend, ohne sie zu verklären; zeigt die hart arbeitenden, in sich gekehrten Menschen, die grandiose Gegend. Ein wirklich schönes Buch, das sicher Lust macht, dort mal entlangzuwandern. Danke Ulrich für das Buch.

Neugierig

„Fotografieren heißt […] mitunter, die Regeln zu verletzen. Und wer zuviel nach Regeln fragt, wird es als Fotoreporter nie weit bringen. [Meine bekanntesten Bilder] gelangen mir nur dank teilweise grober Regelverstöße.“

Nun mag es komisch sein, daß ich nach meiner deutlichen Meinungsäußerung zur Privatsphäre ausgerechnet mit einem Buch komme, daß zum Teil auch aus Grenzüberschreitungen in die Privatsphäre besteht. Der Unterschied für mich ist der Respekt für das Gegenüber, das ich bei Lebecks Bildern immer erkennen kann und der verloren gegangen zu sein scheint, wenn ich mir aktuelle Bilder anderer Photographen anschaue. Dabei sah Lebeck sich nie als Paparazzo, sondern immer als Photoreporter, was den Unterschied erklärt. Er folgte der Erkenntnis Henri Cartier – Bressons: „Man muß sich seinem Gegenstande, selbst wenn es sich um ein Stilleben handelt, höchst behutsam, auf Samtphoten, aber mit Argusaugen nähern.“

Auf das Buch gestoßen bin ich im Nachgang zu meinem Besuch in der Ausstellung. Mir gefielen die Photos die ich da sah. Mir gefiel die Perspektive und das offene Auge, die Spontanität und auch die Wärme. Und so wollte ich etwas mehr über den Photographen hinter den Bildern erfahren. „Neugierig auf Welt“ ist eine Autobiographie, die neben Talent und Gespür von ungeheuer viel Glück erzählt. Von dem Glück, einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Natürlich ist so eine Autobiographie auch immer ein wenig Selbstbeweihräucherung. Für mich überwiegt aber der interessante Teil, die subtilen Tips für die eigene Arbeit und die Erkenntnis, daß man mit zwei Festbrennweiten auch ein großer Photograph werden kann. Dies alles macht das Buch für mich extrem lesenswert, zudem es auch noch sehr unterhaltsam geschrieben ist.

Zum Schluß noch etwas, was mich ungeheuer beruhigt: „Fotografie ist ja ein Froschlaich – Medium: Man muß sehr viel Material produzieren, und am Ende überleben nur ein paar gute Exemplare.“ Da habe ich dann ja noch Hoffnung…

Rock ’n‘ Rau forever

Mortl wies mich in den Kommentaren zum Renner Buch auf die Biographie von Fritz Rau hin. Fritz war ganz sicher prägend für die Konzert – Szene in ganz Europa und so legte ich mir dieses Buch ebenfalls zu, um es gemütlich über Ostern in der Sonne zu lesen. Wer nun eine Themenvorlage für die Klatschpresse erwartet, Berichte von wilden Orgien hinter der Bühne lesen will, der ist bei dem Buch definitiv falsch. Als guter Veranstalter steht er natürlich viel zu sehr vor seinen Künstlern, um so etwas auszuplaudern. Viel mehr bekommt man einen sehr guten Eindruck davon, wie sich die Konzertbranche in Deutschland nach dem Krieg bis zum heutigen Tage entwickelte, welche Hürden genommen werden mußten, welche Strömungen es gab. Er erzählt von herausragenden Konzertereignissen, von großen Erfolgen und ziemlichen Pleiten. Und immer wieder scheint in seinen Geschichten durch, welch begeisterter Musikfan er ist, wie sehr er für die Sache brennt und nicht nur für das Betriebsergebnis.

Bei Fritz Rau ist es wahrscheinlich einfacher aufzuzählen, mit wem er im Laufe seiner Karriere nicht zusammengearbeitet hat und so ist das Buch natürlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Schaffen dieses Mannes, der mittlerweile nur noch beratend tätig ist und keine eigenen Touren mehr veranstaltet. Auf jeden Fall ist es ein lesenswertes Buch.

unendlich

Im gleichen Zuge legte ich mir auch die neue CD Und endlich unendlich von Selig zu. Nun. Die Herren waren nie Freunde der Gutelaunemusik, aber was hier aus den Boxen kommt, ist mir, zumindest beim derzeitigen Sonnenwetter, einfach deutlich zu nöhlig. Während Niels Frevert Melancholie immer hervorragend verpackt, schaffen es die interessanterweise erfolgreicheren Kollegen von Selig nur zur Knatschigkeit, nicht zur Eleganz. Vielleicht sollte ich mir die Platte noch mal im Herbst anhören, zur Zeit lege ich sie trotz alter Verbundenheit erst mal wieder weg.

Stadtaffe

Schon aus dem letzten Jahr ist Peter Fox` Werk Stadtaffe, aber durch diese ganze Tourerei bin ich gerade etwas außer vor, darum kaufte ich sie mir sie erst jetzt. Auch bei seiner Band Seeed ist Peters Gesang prägend und die Richtung Party. Auf der Soloplatte gibt es weniger Reggae, eher etwas HipHop, dafür aber unglaublich spielerische Texte, jede Menge sehr ironische Zitate aus anderen Songs incl. „Haare schön“ und einfach tolle, mitreißende Gutelaunemusik. Wenn ich jetzt schreibe, daß die Scheibe in keiner Plattensammlung fehlen darf, dann lachen wahrscheinlich Viele, weil sie sie schon seit einem halben Jahr haben. Allen anderen sei sie sehr nahe ans Herz gelegt. Es kommt ja jetzt die Zeit des Frühjahrsputzes und ich kann aus gestriger Erfahrung sagen, daß man deutlich beschwingter sauber macht, wenn der Stadtaffe die eigene Wohnung und durch die geöffnteten Fenster auch die Nachbarschaft beschallert.

Index

Copyright: ZDF

An den letzten zwei Abenden gab es im ZDF einen Bericht über das Index – Archiv des Vatikans. Wolf von Lojewski, den wir als Journalisten aus dem Heute – Journal kennen, berichtete, warum in den vergangenen 400 Jahren Bücher auf der kirchlichen Verbotsliste landeten — und warum manche eben nicht. Im Grunde hätte das eine sehr interessante Sendung werden können, wenn man es sachlich und nicht so fürchterlich reißerisch angegangen wäre. Die Indexarchive sind für Wissenschaftler seit 1998, also seit über 10 Jahren geöffnet. Natürlich war es damals eine Sensation, daß der Vatikan einen solchen Schritt wagt und es ist klar, daß es eine gewisse Zeit dauert, bis Wissenschaftler sich durch diesen ungeheuren Aktenberg arbeiten. In der Sendung wurde es nun so dargestellt, daß von Lojewski nun der erste sei, der der ganzen Sache mal auf den Grund ginge. Das ist natürlich Quatsch. Eine ganze Schar von Wissenschaftlern arbeitet in diesen Archiven und der Journalist kann allenfalls an der Oberfläche kratzen.

Mich hat die Sendung geärgert. Zu viel gespielte Empörung, zu viel Lojewski – Superstar – Gehabe, zu wenig ruhige, sachliche Fakten. Auch der wissenschaftliche Gegenspieler, Hubert Wolf, bot zu viel Ironie, zu viel Lustigseinwollen, um dem Thema gerecht zu werden. Es ist doch klar, daß wir heute in vielen Punkten Entscheidungen und Standpunkte von vor 200, 300, 400 Jahren kaum nachvollziehen können, daß sie uns heute teilweise lächerlich erscheinen. Das ist aber doch nicht nur in der Kirchengeschichte so, sondern zieht sich durch alle Dinge, die mit Weltbildern zu tun haben. Und so wurde um der Sensation, um der Quote Willen die Chance vertan, wirklich in das Thema einzutauchen, was ich sehr schade finde.

Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm

Was Tim Renner da in seinem im letzten Herbst überarbeiteten Klassiker über die Musikbranche schreibt, scheint mir als Rezept für unsere derzeitige weltökonomische Lage durchaus brauchbar: das System krankt an erbsenzählenden Knödelpupsern, deren Controlling einfach jede Eigeninitiative, jedes Feuer verhindert und braucht mutige, engagierte, eigenverantwortliche Menschen, die für ihre Sache brennen. Es kommt nicht auf die pc eines Verantwortlichen an, sondern auf die Bereitschaft, ungewöhnliche Wege zu gehen. Das Ganze gibt es schon als Volksweisheit: „Wer wagt, gewinnt.“ Damit könnte ich meinen Artikel über das Buch eigentlich schließen. Dabei beinhaltet es neben diesem Fazit viel mehr.

Tim Renner zeigt in prägnanten Beispielen die Entwicklung der Plattenindustrie von den ersten Schellackplatten bis heute, erzählt von den mutigen Entwicklungen, kleinlichen Verfehlungen und zeigt so, wie es zur heutigen Kriese kommen mußte, warum sie glasklar absehbar war. Nun ist es ja leicht, im Nachhinein alles besser zu wissen. Das Buch macht aber nicht im Jetzt halt, sondern entwirft Ideen und Strategien, wie die gesamte Medienlandschaft sich entwickeln und dabei seinen Einfluß wieder festigen kann. Dabei bleibt Renner durchaus selbstkritisch. Immerhin war auch er ja mal Universal – Chef.

Das Buch ist tatsächlich nicht nur für den Insider interessant, sondern für jeden, der sich ein wenig für die Geschichte der Tonkonserven interessiert. Wer sich es kaufen möchte sollte darauf achten, die überarbeitete Version zu erstehen. Die veraltete Originalausgabe ist auch noch erhältlich.