Die Halle in Halle

Gestern dann mit unserer schuckeligen Produktion in der Händel – Halle in Halle an der Saale. Dort war ich innerhalb der Blogzeit schon so oft, daß ich sie hier nicht noch mal vorstelle. Neu ist, daß die Küche des Hauses nicht mehr durch die Gastronomie genutzt wird (die Gästebewirtung wird jetzt extern angeliefert), sondern durch einen Betrieb, der Schulen mit Mittagessen versorgt. Diese zentrale Schulküche hat natürlich einen ziemlichen Lieferverkehr, der leider auch an „unserer“ Laderampe stattfindet und auch im wesentlichen den selben Weg im Gebäude nimmt. Das ist etwas ärgerlich, zumal der Betreiber der Küche meint, durch sein tägliches Arbeiten dort Vorrang zu haben.

Ansonsten aber alles wie immer incl. charmanter örtlicher Betreuung — was will ich mehr.

Unser Produzent hat den Ehrgeiz, die am fettesten aussehende Eintrailershow ever auf der Straße zu haben. Ob das ever tatsächlich erreicht wurde möchte ich nicht beurteilen, aber für die Produktionsgröße haben wir auf jeden Fall ’ne Menge Zeug dabei und unsere örtlichen Partner staunen regelmäßig, wo denn der zweite Wagen steht. Unter anderem haben wir einen Lift, mit dem Amelia, unsere Sängerin, bei einem Song 3,5m hoch hinter dem Schlagzeug tront. Wie die Königin der Nacht, um mal einen Vergleich für unsere Operngänger zu bringen. Sie steht dort direkt vor unserer kirchenfensterförmigen Leinwand und wird mit einem Feuervideo beleuchtet. Das ganze sieht schon ziemlich gut aus, beschert uns aber einen umgebauten Genie – Lift im Truck.

In der zweiten Hälfte des Sets spielen wir auch „The Raven“ von Alan Parsons. Manchmal geschehen ja Wunder und ausgerechnet in Halle flog uns gestern ein Rabe zu, der während des Songs auf dem Schlagzeug saß.

Hier noch mal der Versuch, „One“, den Song mit den Laserhandschuhen, zu photographieren.

Insgesamt ein runder Tag.

Flashback: Nokia Concert Hall, Tallin

Oft entscheidet ja der erste Eindruck den Rest des Tages und schon in den ersten Minuten in Tallin wurde klar, daß es … interessant … werden würde. Erst mal war das Gebäude bis wenige Augenblicke vor Ladebeginn verriegelt, obwohl wir doch duschen wollten. Und dann stellten wir fest, das der Architekt des erst vor wenigen Wochen fertiggestellten Gebäudes ein Treppenfetischist ist. Nicht nur innerhalb des Hauses gibt es zahllose Treppen und Stufen, die für mich nur ein Zeichen von schlampiger Planung sind, sondern auch die Ladetüre hat einen deutlichen Absatz, der für Bluewheels zu hoch, für eine Rampe aber zu niedrig ist. So bastelten wir uns was aus Bauholz und Kabelmatten. Wie man sowas als Ladeweg planen kann, bleibt mir auf ewig unergründlich.

Das Haus ist so neu, daß sich das Hauspersonal auch noch nicht auskennt. Dazu kommt ein örtlicher Veranstalter, der sich deutlich überfordert zeigt. Und leider erweisen sich die Informationen, die ich im Vorfeld über die Bühne bekam, in weiten Teilen als falsch. Ich habe Infos, aber letztlich habe ich keine. Ein Beispiel: mir sagte man, daß es synchron verfahrbare elektrische Hauszüge mit 500kg Streckenlast gäbe, tatsächlich gibt es aber doublierte Handkonterzüge mit 250kg Streckenlast. Ein deutlicher Unterschied. Auch kann man keine Fronttruss hängen, die mir angekündigten Punktzüge gibt es einfach gar nicht. Und so zieht es sich fröhlich durch.

Der Schnürboden wurde bisher noch nicht wirklich benutzt; es liegen noch keine Kontergewichte auf den Galerien. Die Gewichte befinden sich noch auf fünf Europaletten im Keller des Hauses. Während also zwei Hausmitarbeiter anfangen, mal zwei Tonnen Steine vom Keller unters Dach zu tragen, beschließen wir, daß wir eine Kombination aus klassischem Rigging und Hauszügen einsetzen werden. Eigentlich darf man nicht riggen, aber mir erscheinen die Träger im Dach, an dem auch der Rollenboden hängt, ausreichend vertrauenswürdig. Außerdem hätten die Hausleute sonst noch fünf Tonnen Gewichte schleppen dürfen, was die Bereitschaft des Hauses, Rigging nun doch zuzulassen, schlagartig erhöht. Eine der wenigen Dinge, die der Örtliche weiß, ist die Nummer eines Riggers, der auch recht zügig da ist. Wir haben nämlich nur ein 30m – Seil mit dabei, das hier deutlich nicht reicht. Daher kommt wahrscheinlich auch der Begriff „Mietseil“ für einen örtlichen Rigger.

Daß es auf Bühnen heiß hergehen kann, wissen wir ja alle. Daß auf Estnisch Bühne Lava heißt, finde ich lustig. Nicht ganz so lustig finde ich, daß es securitymäßig wieder wie in Rußland zugeht. Überall stehen Jungs in Lackschühchen herum, die auch mitten durch den Aufbau laufen. Die Versuchung war sehr groß, einfach mal, ganz aus Versehen natürlich, ein Bühnengewicht auf so einen Lackschuh fallen zu lassen. Ich widerstand. Alle Türen, auch die nach außen, können nur per Chipkarte geöffnet werden. Läßt man mal eine Tür längere Zeit offenstehen, kommt gleich ein Knopfimohrträger angetrabt.

Vor der Show wundere ich mich, wer denn im Publikum seinen Klingelton wohl so laut gestellt hat, daß man ihn deutlich bis hinter die Bühne hört. Ich wundere mich so lange, bis ich feststelle: das ist kein Handy, das ist der Gong. Klar. Bei dem Namen hätte ich da auch direkt drauf kommen können. Die Show wird dann sehr gut und das Publikum reagiert so, wie es reagieren soll: euphorisch.

Leider komme ich bei dieser Show nicht so richtig vor die Bühne während der Show, so daß ich Euch hier oft nur Seitenblicke zeigen kann. Wenn wir etwas besser eingespielt sind und es einen dezenten Weg gibt, muß ich mich mal auch während der Show nach vorne stehlen und ein paar Photos von der Front machen.

Der Abbau lief dann einigermaßen und danach wartete tatsächlich unser erster echter freier Tag seit Probenbeginn auf uns. Halleluja.

Erste Show mit eigener Produktion: Riga

In der Arena Riga sind wir um 11:00 Uhr. Angedachter Aufbaubeginn bei Shows mit eigener Technik ist 09:00 Uhr. Eigentlich hatte ich darum gebeten, daß der Truck schon ausgeladen sei, wenn wir ankommen, aber örtlicher Veranstalter, Hands und auch unser Trucker zeigen mit dem Finger auf jeweils den anderen als ich wissen will, warum das nicht geschehen ist. So verlieren wir eine weitere halbe Stunde Zeit, was gerade beim ersten regulären Aufbau echt sch…ade ist. In der Halle herrscht Mückenplage. Keine Ahnung, wo die Viecher Mitte November herkommen, aber sie fallen in Schwärmen über einen her, die Situation erinnert mich an die Waldbühne in Berlin, die sich auch locker von Autan sponsern lassen könnte.

In Timmendorf war die Bühne nicht hoch genug, um auf volle Höhe zu bauen, hier haben wir jetzt allen Platz der Welt und ich stelle fest, daß ich den Sternenvorhang falsch für die Vorhangschiene vorbereitet habe. Wir brauchen 8m Höhe und 12m Breite, er hängt jetzt auf 16m Breite und 6m Höhe. Sehr ärgerlich. Natürlich habe ich ausgerechnet an dem Tag keine Zeit, das zu ändern und flicke statt dessen mit Moltonfetzen den Vorhang länger. Zum Glück sitzen da ja die Mucker vor, so daß man das nicht so doll sehen wird. Sicherheitshalber lasse ich später bei der Show auch die ebenfalls auf Schiene laufende Gaze möglichst immer vor dem Stardrop.

Chris, unser Tourmanager, hatte uns eine 20:00 Uhr – Show angekündigt und so machen die Mönche gerade um 18:30 Uhr Soundcheck, als der Örtliche zu mir kommt. Er würde jetzt gern die Türen zum Saal öffnen, das Publikum stehe schon im Foyer. ??? Ja, klar, wir hätten doch eine 19:00 Uhr – Show. WTF… Gut, dann also den Soundcheck eingekürzt. Die Türen gehen um 18:45 auf, die Show fängt um 19:15 an.

Der Schnappschuß aus der Show gefällt mir; man sieht Reiny, unseren Instrumentenwart, hinter Jörn. Reiny spielt das Solo, während Jörn nur so tut. Nein, Quatsch, natürlich spielt Jörn selbst, aber die Perspekive gefällt mir, weil man genau das denken könnte. Jörn spielt dann doch noch deutlich besser als Reiny und ist zudem auch noch ein extrem angenehmer Mann. Ich saß während ein paar Flügen neben ihm und wir teilen uns unsere Faszination für’s Segeln.

Nach der Show dann Abbau und laden. Um 02:00 sind wir fertig. Und fertig. Kein Schlaf die letzten Tage und dann direkt so ein Wahnsinnstag. Wir sehen alle 10 Jahre älter aus als wir sind, nur Trucker Gunta hat noch Energie sein eigenes Fahrzeug zu verschönern, aber der war ja auch nicht mit in Rußland. Der Nightliner dann eine echte Katastrophe: der Wagen stinkt, hat faktisch keine Federung und schlägt statt dessen bei gröberen Löchern deutlich hörbar an der Begrenzung auf. Auch quietscht die ganze Inneneinrichtung. Nur die Tatsache, daß wir so müde sind läßt uns schlafen und verhindert den sofortigen Aufstand. Später auf der Tour wird der Bus dann ausgetauscht.

Flug nach Riga

Allmählich sind alle durch. Morgens um 06:00 schon wieder Lobby – Call; Hermann verschläft, ist aber dann erstaunlich schnell unten. Alle peilen wie ferngesteuert den Bus an, der uns zum Flughafen bringt. Da dann ein wenig Konfusion: der Flug war für Terminal 2 angekündigt, wird aber an Terminal 1 verlegt. Also langer Fußmarsch mit allem Gepäck ins nächste Gebäude. Vor dem Checkin – Schalter eine ewige Schlange, am Schalter dann wilde Diskussionen über unser reichliches Übergepäck, das angemeldet ist. Das will man morgens einfach nicht haben. Nach der Sicherheitskontrolle stellen wir fest, daß wir wieder zurück zu Terminal 2 laufen müssen, was nach den zurückliegenden Tagen echten, tiefempfundenen Haß erzeugt. Also latschen wir den ganzen Weg wieder zurück, vielleicht 50m parallel zum eben erst gelaufenen Weg. Am Gate sind alle Sitzplätze belegt, also kampieren wir zum Teil auf dem Boden.

Während der Wartezeit vervollständige ich meine Recherchen über DutyFree – Shops. Die sind alle ein gigantischer Nepp. Ich kenne beispielsweise die Preise der von mir genutzten Armani – Serie genau und muß feststellen, daß ich diese Produkte in jeder beliebigen Pafümerie Hamburgs billiger kaufen kann, als im DutyFree – Bereich egal welchen Flughafens. Ähnlich ist es mit vielen anderen Produkten. Es gibt also keinen Grund, diese Läden zu besuchen.

Beim Betreten des Fliegers stelle ich fest, daß ich einen der Stewards schon mal gesehen habe; es war beim Flug Hamburg – Riga auf dem Weg nach Petersburg. Ich bin mir sicher: wenn ich anfange, das Bordpersonal persönlich zu kennen, bin ich eindeutig zu häufig unterwegs. Der Flug dauert 50 Minuten und ist somit zu kurz, um ihn noch zum Schlafen zu nutzen. Dieses Mal kein Zeitsprung. Wenigstens was.

Finnische Freundlichkeit

Nach unserer Reise raus aus Rußland landeten wir in Helsinki und normalerweise würde man dort ankommen und wahrscheinlich ganz andere Dinge registrieren, würde vielleicht über die leichte Melancholie der Finnen philosophieren; wir aber bemerkten die Freundlichkeit im Gegensatz zu Rußland. Schon bei der Paßkontrolle (in Rußland gab es in den Gesichtern überhaupt keine Regung, geschweige denn ein Guten Tag) wurde man freundlich begrüßt, im Flughafen lächelndes Bodenpersonal, der Busfahrer half einem beim Gepäck, die Stadt sieht beim Durchfahren viel gepflegter aus. Es ist unglaublich, wie verbunden man sich plötzlich dem europäischen Gedanken fühlt, wenn man aus Rußland kommt. Da mag man sogar auf die russischen Beine verzichten.

In der Halle ist plötzlich viel mehr Platz auf der Bühne: es gibt nur noch Techniker und keine zehn Securities, die ständig im Weg stehen. Für uns ist es in Helsinki der letzte Termin mit örtlicher Technik, danach sind wir mit eigener Produktion unterwegs. Es klappt auch alles, das Material ist wie gewünscht, nur bei der Abrechnung stelle ich fest, daß der Videobeamer doch sehr teuer ist (1,500,00€ für ein 15.000 Lumen – Modell incl. Optik). Lustig ist, daß das Brandgel für die Feuerschalen ausgerechnet aus Hamburg kommt (liebe Grüße an die Kollegen von TBF). Ansonsten gibt es aus der Finlandia Hal gar nichts zu berichten — vielleicht auch, weil ich zu müde bin, Details zu registrieren. Nach der Show wieder schnell ins Hotel, weil am nächsten Morgen der letzte Flug ansteht.

Feuer !

Beim gestrigen Konzert im Aegi in Hannover gab es zwischendurch ein wenig Unruhe: mitten im Konzert gab es einen Feueralarm. Auf den Seitenbühnen blinken große, rote Lampen (siehe rechts unten auf dem Photo), im Foyer und in allen Garderoben gibt es eine Durchsage in einer Lautstärke, daß auch hörgerättragende Moorleichen noch aufschrecken würden und die beiden vorher leicht schläfrigen Brandwachen der Feuerwehr werden plötzlich sehr lebhaft und versuchen durch hektisches Suchen in den Laufkarten herauszufinden, in welchem Bereich der Alarm denn ausgelöst wurde. Keine drei Minuten nach Alarmbeginn stehen auch schon zwei komplette Löschzüge vor der Türe. Soweit also alles erst mal vorbildlich.

Derweil geht die Show auf der Bühne ungestört weiter. Ticky läßt sich von den blinkenden Lampen nicht irritieren und preist weiterhin die Fußmatten aus dem Merchandise – Angebot an („If you’re a real fan you buy a whole box and carpet your house.“). Mittlerweile stellt sich heraus, es ist ein Fehlalarm. Die Anlage wird abgeschaltet, noch bevor die automatische Evakuierung des Saals erfolgt, die reichlich zwei Dutzend Feuerwehrleute aus den beiden Zügen ziehen wieder ab und auch der zwischenzeitlich in Bereitschaft stehende dritte Zug wird entwarnt. Auch hinter der Bühne kehrt wieder Ruhe ein. Soweit also alles erst mal vorbildlich.

Das Aegi hat eine neue Brandmeldeanlage, erst wenige Wochen alt und die installierende Firma Siemens hatte eigentlich schriftlich versichert, daß die Rauchmelder einer neuen, intelligenten Generation angehören und Bühnennebel von Feuerrauch unterscheiden können. In Bühnennähe traute man der Aussage seitens des Hauses schon nicht, man hatte dort ein paar Kreise ganz klassisch deaktiviert. Daß aber die Linie oben im Rang Alarm gibt … nun … das spricht für die Reichweite unseres MDG – Hazers und eindeutig gegen die angepriesene Intelligenz der Sensoren. So wird Siemens jetzt eine Rechnung von der Feuerwehr bekommen. Knapp 2.000,00€ wird der Spaß wohl kosten, sagte mir gestern der Einsatzleiter. Na, dann mal beim Öffnen der Rechnung Ruhe bewahren und weiterspielen.

Erstklassig

Unsere beiden Köche unterhalten sich mit der örtlichen Cateringhilfe in Stade über den lokalen Fußballverein und Sven fragt, ob Stade in der dritten oder vierten Liga spiele. Ein entrüstetes „Nein, natürlich in der ersten Liga !“ ist die Antwort. Fragende Blicke. Ein Grinsen huscht über das Gesicht der Assistentin. „In der ersten Kreisliga. Aber immerhin in der ersten.“

Versehrtentransport

Also solchen könnte man derzeit unsere Tour bezeichnen: die Grippe geht um und mäht mit scharfer Sense Crew und Cast danieder. Thomas (Dimmer) und ich haben wohl schon das gröbste hinter uns, Gunta, unser Trucker, liegt heute quasi bewegungsunfähig in seiner Zugmaschine und auch bei den Mönchen singt der ein oder andere etwas leiser als sonst. Aber solange uns allen keine Ringelschwänzchen wachsen ist es ja nicht so schlimm……

Was bleibt ?

Das hier ist tatsächlich mein letzter Eindruck vom Petersburger Flughafen. Also ein guter Moment, um mal Resümee zu ziehen über unsere Zeit in Rußland. Über den auffälligen Kontrast zwischen jungen und älteren Frauen hatte ich ja schon ausführlich geschrieben. Tatsächlich ein Phänomen, das uns auch nach dem Verlassen des Landes beschäftigen sollte. Noch tagelang verglichen wir die einheimischen Frauen mit denen in Rußland. Von den 20 Leuten in der Truppe waren halt 19 Männer. Auch über die vielen Menschen, die einfach nur herumstanden in den Hallen, über die vielen Securities schrieb ich schon. Insgesamt herrscht eher ein ruppiger Ton vor in Rußland.

Auch augenfällig ist der Verfall; selbst neue Gebäude zeigen ihn schon, indem entweder schlampig, oder erst gar nicht richtig zuende gebaut wird. Ältere Gebäude scheinen nur selten renoviert zu werden (es sei denn, sie sind touristisch wertvoll). Das ist schade, aber eben vielleicht auch ein Synonym für die Gesamtsituation im Land.

Auf der anderen Seite muß ich sagen, daß sich manches Vorurteil nicht bewahrheitete: in Deutschland spricht man manchmal abfällig von einer Russentruppe, wenn osteuropäische Helfer mit schlechten Deutschkenntnissen und der Neigung zum Verdunsten Drücken vor der Arbeit eingesetzt werden. Die Helfer in Rußland waren zwar oft des Englischen nicht mächtig, aber immer zur Stelle und warteten geduldig und gut sichtbar, wenn es mal nichts zu tun gab. Drückeberger erlebten wir nicht. Auch vergaß ich in Moskau meinen Ledermann in der Halle; am nächsten Morgen konnte ich ihn ordentlich beschriftet im Hallenbüro abholen. Wenn wir ehrlich sind, dann wäre er in Deutschland verschwunden gewesen.

Mir ist klar, daß mein Eindruck stark verfälscht ist von der Tatsache, daß ich das Land nur unter Zeitdruck und nur aus der Perspektive der Veranstaltungshallen sah. Ich hatte nie die Gelegenheit, die schönen Seiten der Städte, oder gar Alltagsleben zu sehen. Ich hatte nie die Gelegenheit, wirklich die Menschen kennenzulernen, konnte nicht hinter die rauhe Schale der Einheimischen schauen, hinter der sich vielleicht dann doch sehr nette Leute verbergen. So bleibt das Bild eines rauhen, ruppigen Landes, bei dem man froh ist, wenn man es wieder verläßt, auch wenn man weiß, die wahren Perlen vielleicht nicht gefunden zu haben. Vielleicht ergibt sich ja noch mal die Gelegenheit, mit mehr Zeit durch Rußland zu reisen.

Goodbye Lenin

Die Reise von Ekaterinburg nach Helsinki ist mit einigen Schmerzen Hürden versehen. Die erste Hürde heißt Lobby – Call und der ist bereits um 03:00 Uhr. Ich weiß, daß Ihr versteht, daß ich aus dieser Zeit keine Photos habe. Vom Hotel geht es zum Flughafen und von dort nach St. Petersburg. Bevor ich im Flieger wieder einnicke stelle ich noch fest, daß diese gelben Natriumdampflampen der Straßenlaternen von oben eine schöne, heimelige Stadtbeleuchtung abgeben. Dann bekomme ich erst wieder mit, daß mich die Stewardess recht ruppig weckt, weil ich die Lehne wieder hochstellen soll. Sie behauptet, sie habe es erst freundlich versucht. Gähn. Ich glaube ihr nicht und will in einen Nightliner.

In Petersburg angekommen stellen wir fest, daß wir auf dem Inlandsflughafen sind und per Bus zum Auslandsflughafen fahren müssen. Aha. Die anderen Fahrgäste des Busses sind über unsere Kofferberge nicht gerade erfreut. Wir auch nicht. Ich stelle fest, daß ich mittlerweile bereits jeden Koffer unserer zwanzigköpfigen Truppe einem Mitreisenden zuordnen kann. Nach knapp 20 Minuten sind wir da. Jetzt haben wir 4h Wartezeit. In Worten: vier Stunden. Es gibt keine andere Verbindung am Wochenende. Die Haupthalle des Flughafens darf man erst zwei Stunden vor Abflug betreten, wir hängen also in einer Vorhalle ab, sind die einzigen Gäste des einzigen Cafes dort und bringen die einzige Kellnerin ganz schön auf Trapp. Es gibt im ganzen Flughafen, zur Erinnerung: wir sind im internationalen Flughafen St. Petersburg, keine ausländische Tageszeitung zu kaufen.

Zwei Stunden vor Flug dann haben wir Zutritt zur Haupthalle. Aber erst müssen wir durch die Sicherheitsschleuse. Mit allem Gepäck und mit Bodyscan. In Deutschland sind die Dinger ja wegen Persönlichkeitsrechten verboten, hier werden wir bis auf die Haut durchleuchtet. Ich ziehe den Bauch ein, um besser auszusehen; Reiny, unser Backliner, macht den Moonwalk. Natürlich muß ich meinen Koffer ausräumen und den Sicherheitsleuten die Laserhandschuhe erklären. Wir dürfen einchecken und ein Teil der Truppe reist plötzlich BusinessClass. Alle Techniker, aber eben nicht alle Sänger und Bandmitglieder. Später in Helsinki höre ich zufällig wie zwei Bandmitglieder sich darüber aufregen, daß sie normal, wir Techniker aber Business flogen. Mir ist es bei einem 50minütigen Flug fast egal, genieße aber trotzdem die größere Beinfreiheit.

Zu den Privilegien eines BusinessClass – Reisenden gehört, daß man auch in die Business – Lounge darf. Dort gibt es kostenlos Snacks, Getränke und jede Menge Alkohol. Für Letzteres ist es mir noch zu früh, andere sind weniger zimperlich und testen ausgiebig die russische Destillationskunst. Außerdem, fast schon eine Sensation, gibt es deutsche Tageszeitungen. Vom Vortag, aber immerhin. Der Tagesspiegel ist kopiert und kein Original. Die Mädels am Tresen erklären mir, daß die Lounge von den nichtrussischen Fluggesellschaften betrieben würde und daß es deshalb auch etwas anderes als Russisch zu lesen gäbe.

Beim Boarding dann noch ein zweiter Sicherheitscheck. Dieses Mal müssen wir nicht nur Mäntel, Jacken und Gürtel ausziehen, sondern auch die Schuhe. Eine Karawane von Reisenden in blauen Einmalsocken trabt durch die Schleuse, mit einer Hand die rutschende Hose hochhaltend. Ich freue mich, daß wir uns noch nicht bis zur Unterhose ausziehen müssen. Nach dem Metalldetektor werden wir abgetastet. Komplett und überall. Ich bin ein Terrorist.

Beim Betreten der FinnAir – Maschine stelle ich fest, daß auch Frauen über 30 freundlich lächeln können. Nach den Tagen in Rußland ist diese Feststellung sehr erwärmend und ich freue mich über die natürlich – freundlichen Stewardessen um die 40, die ich sonst nicht besonders beachtet hätte.

Bei Tageslicht kann man dann sehen, daß sich der nationale und der internationale Flughafen in St. Petersburg die selbe Landebahn teilen, die auch als Taxiway genutzt wird. Scheint also nicht viel loszusein dort. Da erscheint die Trennung der Gebäude als Reisender natürlich doppelt ärgerlich und auch aus wirtschaftlicher Sicht verstehe ich es nicht. In Zeiten des kalten Krieges mag sowas ja seinen Grund gehabt haben, aber heute ?  Egal, die Maschine nimmt Anlauf, hebt ab, wir sind weg.