Zeitungszeugen

Seit einigen Wochen schon lese ich die wöchentliche Publikation Zeitungszeugen, die sich mit der Presse im Dritten Reich auseinandersetzt, indem Zeitungen aus der Zeit komplett nachgedruckt und kommentiert werden. Das Projekt war in den ersten Wochen juristisch heftig umkämpft. Die Bayrische Staatsregierung, die Nachlaßhüterin Hitlers und der NSDAP ist, sah sowohl urheberrechtlich als auch strafrechlich die Grenzen überschritten. In beiden Punkten sind zwischenzeitlich die höchstinstanzlichen Gerichte zu anderer Auffassung gekommen; zu Recht, wie ich finde.

Worum geht es also genau: in jeder Ausgabe der Zeitungszeugen werden zwei unterschiedliche deutschsprachige Zeitungen in Gänze nachgedruckt. Also nicht nur der politische Teil, sondern auch Kultur und Anzeigen beispielsweise. So kann man sich ein viel besseres Bild über die Stimmung der Zeit machen, als läse man ausschließlich die Texte der Göbbel’schen Hetzschriften. Dabei werden nicht nur NSDAP – nahe Blätter, sondern, so lange es sie noch gab, auch kritische Veröffentlichungen und auch Zeitungen aus dem angrenzenden Ausland wiedergegeben. Gerade die Gegenüberstellung verschiedener Blätter macht die Reihe so interessant. Darüber hinaus gibt es in den Ausgaben noch Nachdrucke von wichtigen Dokumenten oder Plakaten. Es wird versucht, die Atmosphäre der Zeit so gut es geht nachzuzeichnen.

Der Rechtsstreit um die Veröffentlichung von NSDAP – Blättern zeigt aber auch deutlich, daß die Schutzzeiten nach dem Urheberrecht nun deutlich ablaufen; und nur darauf beruht derzeit das Verbot, in Deutschland Werke der nationalsozialistischen Riege zu drucken. Spätestens mit dem 70. Todestag Hitlers Ende April 2015 wird also „Mein Kampf“ nach derzeitigem Recht frei verkäuflich sein, was ich übrigens deutlich begrüße. Nur wer dieses Buch mal selbst gelesen hat wird begreifen, wie klar Hitlers Ziele bereits lange vor der Machtergreifung waren und wie unverständlich und gefährlich die Machtübergabe an ihn war. Die derzeitige Politik der bayrischen Staatsregierung diesbezüglich halte ich übrigens für kurzsichtig und dumm. Brächte sie jetzt eine sauber kommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“ und ähnlichen Publikationen auf den Markt, so könnte sie sicher sein, einen historisch haltbaren Standard zu etablieren und die Lesart des Buches mit zu bestimmen. Diese Möglichkeit entgleitet ihr zum 01.05.2015, denn dann ist der Text frei verfügbar und jeder kann damit machen, was immer er will.

Zurück zu den Zeitungszeugen. Nachdem während der Zeit der rechtlichen Auseinandersetzungen die Auswahl an wiedergebbaren Zeitungen begrenzt war, stehen nun wieder alle Zeitungen zur Verfügung; jedenfalls bis in das Jahr 1939 hinein, denn für Zeitungen gilt die Verjährung des Urheberrechts nach 70 Jahren der Veröffentlichung. Es bleibt zu hoffen, daß auf Regierungsseite statt Starrköpfigkeit nun Vernunft siegt und auch die Jahrgänge bis 1945 freigegeben werden. Mir jedenfalls gewährte diese Publikation schon hochinteressante Einblicke in die Stimmung der Zeit, in der meine Eltern geboren wurden und meine Großeltern Erwachsene waren. Sie zeigt mir, wie unterschiedlich und schwer verständlich für uns Heutige die damalige Zeit war.

Aus voller Überzeugung kann ich Euch diese wöchentliche Zeitung empfehlen. Sie liefert hervorragendes Hintergrundwissen. Nicht nur durch die Reproduktion von Zeitungen, sondern auch durch die beigelegten Dokumente, sowie die Kommentare und Erläuterungen, die die Nachdrucke umschließen.

8 Gedanken zu „Zeitungszeugen“

  1. Wo gibts denn diese Zeitung? Scheint mir ja das ideale Material für ein Geschichtsreferat zu sein, oder gleich für den ganzen Geschichtsunterricht.

  2. Die Zeitung gibts im guten Zeitschriftenhandel. Wobei ich das mit dem „idealen Material“ für den Geschichtsunterricht sehr viel kritischer sehe. Ein großer Kritikpunkt eben bei der Herausgabe der Zeitschrift war, dass hier ein Verlag versucht mit NS-Schriften Geld zu verdienen (!). Denn das Ganze ist schon auf Gewinn ausgelegt, es ist explizit kein Bildungsprojekt bspw. der Bundeszentrale für politische Bildung. Natürlich sind alle Historiker die an den Zeitungszeugen arbeiten anerkannte Experten auf ihrem Gebiet.
    Was allerdings viel mehr in den Geschichtsunterricht muss, ist ein „Update des Wissenstandes“. Die Forschung zur NS-Zeit ist inzwischen wirklich sehr weit und das nicht nur in Deutschland. Es zeigt sich, dass das schwarz-weisse Bild von der Diktatur ein falsches ist. Es ist in vielen Facetten sehr grau, die Übergänge fliessend und viel näher an uns allen dran, als man gemeinhin denkt. Und das macht die Sache so gefährlich.
    Wenn das seinen Weg in den Unterricht fände, wäre glaube ich allen mehr geholfen. Nichtsdestotrotz begrüße auch ich die Zeitungszeugen. Interesse an Geschichte ist nämlich immer wünschenswert.

    Viele Grüße,

    Thomas

    1. Natürlich versucht der Verlag, Geld zu verdienen. Alle Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigen, tun das ja auch. Irgendwovon muß man seine Brötchen ja bezahlen. Von daher finde ich das nicht verwerflich. Letztlich ist es eine gute Idee, die alten Dokumente kommentiert herauszugeben und wenn er die Idee hatte, dann soll er auch daran verdienen. Letztlich nahm er ja auch das Risiko des Rechtstreits auf sich. Ich finde diesen Ansatz auf jeden Fall wesentlich besser, als den Versuch, diese Dokumente zu vergraben.

  3. Es versucht ja Niemand die Dokumente zu vergraben. Jeder hat das Recht, alle möglichen Zeitungen aus der Zeit bspw. in Zeitungsarchiven einzusehen.
    Mit „Mein Kampf“ ist das schwieriger, aber auch hiervon gibt’s wissenschaftlich kommentierte Ausgaben – die Ausschnitte bearbeitet von Christian Zentner sind glaub ich die bekannteste – und die sollte es in jeder guten Bibliothek geben.
    Was mich an der Herausgabe der Zeitungszeugen stört, und das ist glaub ich das einzige worin wir wahrscheinlich unterschiedlicher Meinung sind, ist der kalkulierte Tabubruch und die Vermarktung eben dieses Tabubruchs. Viel eher hätte ich so eine kommentierte Auswahl, denn nichts anderes ist es ja, von der Bundeszentrale für politische Bildung erwartet – nur hätte das wahrscheinlich dann, wie so vieles der BPB, keiner ausserhalb der Wissenschaft lesen wollen.
    Ganz und gar nicht teile ich übrigens die Angst vieler „Bedenkenträger“, dass die Zeitungszeugen als Vorlagen für rechtsextreme Flugblätter herhalten könnten. Da gibt’s andere Mittel und Wege – und die kennen die besagten Gruppierungen nur allzu genau.

    Viele Grüße,

    Thomas

    1. Daß die BPB dies in dieser Form bisher nicht machte, bedauere auch ich. Das meinte ich ja auch mit der Chance bezüglich „Mein Kampf“: ich würde eigentlich von den politisch und kulturell Verantwortlichen erwarten, eine kommentierte und bearbeotete Version frei zu veröffentlichen. Leider geschieht das nicht.

  4. Kleiner Hinweis: Da das Urheberrecht immer zum 31. Dezember des Jahres ausläuft, in dem der 70. Todestag lag (§69 UrhG), werden die Schriften Hitlers erst am 1. Januar 2016 gemeinfrei.

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