St. Pauli, die Zahnfee und 3.500 Demonstranten

Das hatten wir hier noch nicht: daß ich freiwillig zum Fußball gehe und sogar mit Torphotos nach Hause komme. Der schottische Erstligaverein Heart of Midlothian, in der abgelaufenen Saison immerhin auf dem dritten Platz, war als Gast bei den Paulianern. Freundschaftsspiel nennt man das, was die siebenjährige Fußballfachfrau Anna auch „Probierspiel“ nennt. Die Harts sind in der Nähe im Trainigslager und auch Pauli wollte die neue Konstellation testen. Letztere insofern erfolgreich, als daß das Spiel mit 2:0 zuende ging. Oben seht Ihr das 1:0 in der 25 Minute durch Bruns. Nebenher: das neue Pauli – Trikot gefällt mir sehr gut.

Anlaß für mich, zum Spiel zu gehen, war zum einen die Tatsache, daß ein Freundschaftsspiel eine gute Gelegenheit ist, einer Siebenjährigen den Wunsch nach ihrem ersten Stadionbesuch zu erfüllen und zum anderen meine Erfahrungen vom letzten Wochenende. Nach dem Spiel sollte es noch eine Demo gegen die Gewalt des Polizeieinsatzes geben. Gerade der FC ist in seiner Vereinskneipe ja gut gebeutelt worden. Die Polizei sprühte eine geballte Ladung Pfefferspray in den Gastraum und hielt dann massiv mit einem Wasserwerfer auf den Ausgang, so daß eine Flucht nicht möglich war. Menschen die es doch versuchten wurden mit Schlagstöcken niedergeknüppelt; dabei verlor ein Gast vier Zähne. Der Vereinsvorstand rief nun zu einer Demo auf, an der ich gern teilnehmen wollte, weil auch mich das Vorgehen der Polizei erschreckte.

Photos: Annette Prüfer

Vor dem Stadion wurden die 3.500 Demonstranten dann liebevoll von gut ausgerüsteten Beamten und vier Wasserwerfern in Empfang genommen — die aber zum Glück nicht zum Einsatz kamen, die Demo verlief nämlich absolut friedlich. Es muß jedoch für die Beamten schon besonders bizarr sein, eine Demo zu regeln, die sich gegen einen Polizeieinsatz richtet. Und ob ich als Einsatzleiter die Wasserwerfer in Sichtweite abgestellt hätte…… aber wahrscheinlich ist der Mann besonders kleinwüchsig und leidet unter dem Napoleon – Komplex, da kann er dann gar nicht anders.

Photo: Annette Prüfer

Hier sehr Ihr auch mal einen Beamten mit Pfefferspray. Die Taktik der Polizei war recht kontrastreich: die ersten paarhundert Meter vom Stadion bis zum Schulterblatt lief die Demo in einem kompletten Kokon aus kampferprobten Polizisten, am Wegesrand waren auch die Wasserwerfer zu sehen. Im Schanzenviertel war große Strecken nicht ein Polizist, nur an der Kreuzung Schulterblatt/Altonaer Straße und später Altonaer Straße/Schanzenstraße regelten sie gewissermaßen den Verkehr (na ja… auch da postierten sie dann schweres Gerät).

Auch wenn sich nicht alle Anwohner nackt ins Fenster stellten wie der Herr links im Bild, so war der Zuspruch der Anwohner doch sehr positiv. Ich selbst fand schön, daß so viele gekommen waren (und hätte die Zahl der Teilnehmer Aufgrund der Länge des Demonstrationszuges höher geschätzt), daß die Teilnehmer einen großen Querschnitt aus der Bevölkerung widerspiegelten und daß es eben absolut friedlich ablief.

Ich bin sehr gespannt, was die Ermittlungen rund um den Einsatz ergeben werden; es gibt ja mittlerweile Strafanzeigen gegen die Polizei. Und ich hoffe, daß es im nächsten Jahr zu einer friedlicheren Lösung kommen wird — und da meine ich durchaus die Beteiligten beider Seiten.

4 Gedanken zu „St. Pauli, die Zahnfee und 3.500 Demonstranten“

  1. Ich bin auch gespannt was die Ermittlungen zum Polizeieinsatz bringen. Mittlerweile ist ja auch ein Video dazu aufgetaucht.
    Aber gerade der letzte Satz, die Beteiligung beider Seiten, sehe ich genauso. Es gehören meist zwei dazu. Die Schuld immer nur auf die Polizei zu schieben ist einfach, aber die Gegenseite hat gewiss auch seinen Teil zur Eskalation beigetragen.
    Den Verletzten gute Besserung, den Polizisten wünsche ich eine gerechte Strafe. Ich hoffe, das wird nicht einfach unter den Teppich gekehrt!

  2. leider wird das ganze sowieso nach dem Motto der Dienstaufsichtsbeschwerden „FFF“ eingestellt – formlos, fristlos, fruchtlos :(

    Oder es kommt eine „offizielle Ermahnung“ (das ist so wiue beim Jugendrichter, der „Dududu, boeser Junge, nicht mit Baseballschlaeger auf Andersdenkende schlagen“ sagt und alles einstellt)…

  3. Nachdenklich machen sollte einen das schon, vorfälle die nicht sein dürfen. aber da hat der C-V wohl sehr recht, das wird -auf welche weise auch immer – eingestellt, und das wars dann, die verletzten bekommen vielleicht noch nen bissi schadensersatz, und damit möchte das thema dann auch ganz schnell von der bildfläche verschwinden (aus sicht der polizei).

    Wobei man mit vorgehaltener hand auch sagen muss: Bei euch fahren einige in ihren schildkröten-outfit ja auch streife, oder es ist mir nur zu besonderen ereignissen aufgefallen? Ich bin ja schon das ein oder andere mal in HH gewessen, und u.A. auf dem weg ins Automuseum liefen mir diese Herren auch so über den weg, und das war bei weitem nicht das erste mal.

    Das auftretten der Polizei in Hamburg finde ich sowieso ziemlich danneben, es gibt sicher noch einige städte wo ich es genauso daneben finde, aber Hamburg gehört in dieser beziehung zu denn extremsten städten (meiner empfindung nach), sicherlich war der Schutzconvoi VOR einer Demonstration letztes Jahr in berlin am Kudamm nicht weniger stark ausgerüstet, jedoch haben sie sich sollange dezent zurückgehalten (so dezent es eben mit geschätzten 50 fahrzeugen geht) bis teilnehmer wirklich etwas „verbrochen“ haben.

    Ich finde es ja in ordnung wenn jemand der in eine scheibe schlägt, oder wohlmöglich noch an anderen menschen gewalt übt die silbernen armbänder umbekommt, mit verlaub sag ich auch von mir aus mit nem stock eins in rücken, aber jemanden grundlos 4 zähne auszuschlagen ist ein absolutes NOGO.

    Und deshalb ist es auch sehr cool wie ich finde das die angehenden ZMF’s vom BFE auch ins Stadion gekommen sind um zu demostrieren.

    Zum schluss dieses Artikels fragt sich der „Der kleine Rigger aus Oldenburg“ noch wieso Markus ner Siebenjährigen einen Wunsch erfüllen muss ;-).

    Netten Gruß,
    Chris

    PS: Ich versuche dann nachher mal nen Pingback oder wie auch immer zu schalten.

  4. Die Polizei steht immer dann am Pranger, wenn sie etwas falsch macht.

    CRC (Crowd and Riot Control) ist mit das mit Abstand psychologisch Intensivste, was ich je (Disclaimer: mit 20 Jahren) gemacht habe. Selbst bei Übungen ist irgendwann mal Schluss – du passt nicht auf, das Schild donnert gegen deinen Helm und du langst da zu, wo es (auch mit Schutzanzug) weh tut. Das soll nicht vorkommen, tut es aber doch. Ich bin nicht bei der Polizei, sondern übe den Beruf für einen anderen staatlichen Arbeitgeber aus und bin froh, dass ich nicht im richtigen Einsatz war. Alleine eine Situation wie Gorleben letztes Jahr (Hamburger Polizei eingekesselt, vor / zurück nicht möglich und die lokale Einsatzleitung wollte nichts unternehmen) ist Horror pur.

    Was ich bisher mitbekommen habe ist, dass die Hamburger Polizei in Sachen CRC einen sehr guten Ruf hat. Wir üben regelmäßig mit denen zusammen und man merkt, dass da ein ordentliches Konzept hinter steht. Wir haben viele Dinge übernommen, die für uns eigentlich verboten / noch nicht erlaubt sind, einfach weil sie viel mehr Sinn machen.

    Aus der Präsenz der Polizei immer gleich eine Eskalation sehen zu wollen, verstehe ich nicht. Die Polizei ist dafür da, dass nicht hemmungslos geplündert und zerstört wird. Kommt die Polizei erst dann, wenn die Bude brennt, ist sie „noch mehr“ Schuld.

    Wenn die Polizei drei Zähne ausschlägt, ist das falsch – aber niemand will den Stress und die Belastung der Polizei vorher sehen. Niemand sagt laut, dass wenn es die Krawalle nicht gebe, die Polizei gar nicht kommen bräuchte.

    CRC ist ein Scheißjob für den es einen Hungerlohn gibt – und am Ende stehst du vor dem Richter. Danke auch.

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