Der RiMi oder: Dolby Surround war gestern

Bevor ich weitere Bilder aus der atemberaubenden Show Ben Hur Live zeige, erzähle ich Euch mal über eine Erfindung, auf die wir richtig stolz sind: den Richtungsmischer. Aber am besten fange ich mal ganz von vorne an. Als das Konzept zur Show entstand war ganz schnell klar, daß man dem Zuschauer eine akustische Orientierung im Geschehen geben muß. Dadurch daß eine komplette Eishockeyfläche mit Schauspielern bespielt wird und teilweise auch parallele Handlungen stattfinden, würden die Zuschauer schnell die Orientierung verlieren, würde man den Schallereignissen (sei es Geräusch, sei es Dialog) keine eindeutige Richtung zuordnen. Und das nicht nur in der Breite, sondern auch in der Tiefe. Solche Systeme gibt es ja bereits für Theater. Allerdings arbeiten die mit einer Kopfbühne. Bei Ben Hur Live sitzen die Leute aber komplett um die Spielfläche, es wird also eine 360° – Beschallung benötigt, die auch noch Richtungsinformationen in Breite und Tiefe ermöglicht. Das gab es bisher weltweit nicht.

Unser Unternehmen hatte also als technischer Generaldienstleister unter anderem die Aufgabe, sich um die Entwicklung eines solchen Systems zu kümmern und so wandten wir uns an eine große, amerikanische Beschallungstechnikfirma. Dort werkelte man intensiv und stellte dann nach einiger Zeit fest, daß man dieses Problem nicht in der notwendigen Zeit würde lösen können. Nun. Wenn man nicht alles selbst macht…… Also wurden inhouse unsere Tonspezialisten Manu Thillmann und Martin Felber aktiviert, die wiederum wandten sich an das Fraunhofer Institut für digitale Medientechnologie in Ilmenau. Die Forscher hatten schon für Bregenz eine Richtungsbeschallungslösung für normale Theaterbühnen entwickelt. Manu, Martin und die Ilmenauer ließen gemeinsam ihre Köpfe rauchen und erfanden ein System, mit dem das auch bei 360° – Bühnen geht. Bei Ben Hur Live gibt es 44 verschiedene Richtungen, aus denen eine Schallquelle virtuell kommen kann; mehr wären möglich.

Dabei werden nicht nur einfach die Schallquellen auf einzelne Lautsprechercluster gelegt; das würde quer durch eine große Halle akustisch in akzeptabler Qualität gar nicht gehen. Die einzelnen Boxen frischen sich auch gegenseitig auf. Tatsächlich ist ein Punkt die Erregerschallquelle. Alle umliegenden, in die selbe Richtung beschallenden Lautsprecher werden als Delay genutzt, so daß der Klang „frisch“ beim Zuhörer ankommt. Dabei berechnet das System die Delayzeiten nach dem Prinzip der ersten Wellenfront, der Haas – Effekt wird also berücksichtigt, so daß der akustische Eindruck immer beim Originalpunkt bleibt auch wenn mehrere Delays zum Einsatz kommen. Das ganze funktioniert dynamisch: per Touchscreen kann eine Schallquelle in Echtzeit komplett im Raum bewegt werden. Der Rechner berechnet ständig den Anteil der einzelnen Lautsprecher und die Delayzeiten. Und das natürlich nicht nur für ein Eingangssignal, sondern für viele. Noch mal: in Echtzeit und dynamisch. Einige Effekteinspielungen sind bereits in ihrem Verlauf vorprogrammiert, sich bewegende Schauspieler können aber einfach mit dem Finger „mitgefahren“ werden. Und natürlich können automatisierte Ablaufe mit einem Fingerzeig übernommen und manuell weitergefahren werden.

Oben auf dem Bild seht Ihr die Bedieneinheit des Systems, das hinter den Kulissen aus einem großen Rechnerschrank besteht, der redundant aufgebaut ist. Sollte also ein Rechner ausfallen, übernimmt nahtlos ein zweiter, so daß es zu keinen Ausfällen bei der Show kommt. Dabei sind die einzelnen Aufgaben auf verschiedene Rechnerpaare aufgeteilt, damit die anfallende Rechnerleistung überhaupt bewältigt werden kann. Am Pult sitzt Matthias Pelz, unser RiMi – Mann.

Nach den Proben kann ich übrigens sagen: das System funktioniert fantastisch; man dreht unweigerlich den Kopf dahin, woher der Schall kommt und sieht dann die wichtige Handlung. Und jetzt versteht der ein oder andere wahrscheinlich auch, warum wir die unglaubliche Zahl von insgesamt 234 Lautsprechern benötigen.

12 Gedanken zu „Der RiMi oder: Dolby Surround war gestern“

  1. Hehe, klingt spannend.

    Allerdings nicht mehr wenn mal Wave-Field-Synthese kennen gelernt hat. Da ist so was Alltag. Im Prinzip macht Ihr das ja. Und für die „neue“ Entwicklung hättet Ihr beispielsweise bei der TU Berlin nachfragen können, die das größte WFS-Array Europas haben. Oder im ZKM in Karlsruhe. Oder bei der Uni Köln (glaub ich)…

    Der richtige Renner ist dann übrigens die Berechnung des Halls per Impuls-Response und dann die Quelle frei im Raum (das geht mit ein paar mehr Boxen dann auch 3D!) bewegen. Während der Hall direkt angepasst wird.

    Könnte man die Position der Sänger/Sprecher nicht auch gleich per Peilung aus den Funkpegeln der Sender ziehen?

    1. Das wäre dann aber wohl eine Sache von vielen tausend und nicht 234 Lautsprechern. Ob das tourtauglich ist mag ich bezweifeln.

      1. Soweit ich weiß, reichen da „relativ“ wenige Kanäle. Soweit ich weiß hat der große WFS-Raum in Berlin ~196 Kanäle und Lautsprecher. Da wird aber teilweise Hoch- und Tieftöner getrennt angesprochen, weil die hohen Frequenzen ja für die Ortung wichtiger sind und darum feiner aufgelöst sein müssen. Dort sind glaub ich jeweils zwei Hochtöner mit einem Tieftöner pro Panel verbaut.
        Ist allerdings schon 1,5 Jahre her, das ich dort war und innerhalb der Bass-Drum stehen konnte…

        Natürlich braucht man für eine richtige Wellenfront viele Lautsprecher. Aber über viele Lautsprecher reden wir hier ja auch. So ein Line-Stack macht ja auch nicht viel anderes, als aus vielen Punktquellen eine Wellenfront zu machen.

        Der mathematische Trick bei einigen dieser Systemen ist, das der Computer die genauen Positionen der Lautsprecher im Raum kennt (und bei Aufnahmen auch die genauen Positionen der Mikrophone) und daraus dann die Delays berechnet (die ja dann praktisch eine Kreuzmatrix sind). Was ja aber bei On-the-road weniger ein Problem ist, da die Rigger ja (entsprechenden Platz vorausgesetzt) immer alles nach Plan wieder an die gleiche Stelle hängen.

        1. Der Unterschied zwischen dem Berliner Raum und unserer Produktion ist, daß die Berliner die Boxen rundherum haben und das Publikum in der Mitte ist, während wir aus der Mitte beschallern und das Publikum rundherum sitzt. Das ist vom technologischen Ansatz her deutlich anders.

          Das Berliner System wäre in meinen Augen nicht tourtauglich, weil nur schwer schnell an unterschiedliche Räume anpaßbar. Unser System ist auf Tourtauglichkeit hin entwickelt.

          1. Die umgekehrte Beschallung spielt nur eine untergeordnete Rolle.

            Wenn Hinten keine Lautsprecher sind, kann man keine Schallquellen von Hinten setzen. Die Tiefenwirkung, egal ob vor oder hinter den Boxen, geht mit einer einfachen Reihe von Lautsprechern. Besser sogar mit Lautsprechern in verschiedenem Abstand zum Hörer, sonst kann das Ohr glaub ich nicht so gut zwischen Quellen vor den Lautsprechern und hinter den Lautsprechern unterscheiden.

            Aber hier geht es ja soweit ich das verstanden habe auch nicht um Ton von hinten, sondern „nur“ um die Ortung innerhalb der Arena in der Mitte. Unfachmännisch würde ich sagen, das da drei Lautsprecher pro Zuschauer(-block) ausreichen müssten um das grob hin zu bekommen. Je mehr, desto besser für den räumlichen Klang.

            Trotzdem bin ich neidisch, das ich wohl keine Chance haben werde mir das anzusehen und anzuhören…

    2. Die Positionen kann man schlecht aus den Funksignalpeilungen nehmen, aber es gibt tatsächlich Systeme, die Darsteller tracken können. Die Kombination ist derzeit nicht vorgesehen, wäre aber sicher möglich.

  2. Mensch Markus, Stark was Ihr da erbaut! Nicht nur vom Gesamtkonzept, alleine das Tonkozept und eure neue Entwicklung…. hat nach langem mal wieder so einen richtigen WOW Effekt ;-)

    Ich finde das gut, hätte aber nie Gedacht das InPlan der Generaldienstleister bei der Produktion ist…

    Wenn hier schon die Fragen nach „wer macht was“ losgehen, dann hebe ich auch mal denn Finger und frage: Wer macht denn das (Wahrscheinlich ebenfalls gewaltige) Rigging?

    Grüße,
    Chris

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