Goodbye Lenin

Die Reise von Ekaterinburg nach Helsinki ist mit einigen Schmerzen Hürden versehen. Die erste Hürde heißt Lobby – Call und der ist bereits um 03:00 Uhr. Ich weiß, daß Ihr versteht, daß ich aus dieser Zeit keine Photos habe. Vom Hotel geht es zum Flughafen und von dort nach St. Petersburg. Bevor ich im Flieger wieder einnicke stelle ich noch fest, daß diese gelben Natriumdampflampen der Straßenlaternen von oben eine schöne, heimelige Stadtbeleuchtung abgeben. Dann bekomme ich erst wieder mit, daß mich die Stewardess recht ruppig weckt, weil ich die Lehne wieder hochstellen soll. Sie behauptet, sie habe es erst freundlich versucht. Gähn. Ich glaube ihr nicht und will in einen Nightliner.

In Petersburg angekommen stellen wir fest, daß wir auf dem Inlandsflughafen sind und per Bus zum Auslandsflughafen fahren müssen. Aha. Die anderen Fahrgäste des Busses sind über unsere Kofferberge nicht gerade erfreut. Wir auch nicht. Ich stelle fest, daß ich mittlerweile bereits jeden Koffer unserer zwanzigköpfigen Truppe einem Mitreisenden zuordnen kann. Nach knapp 20 Minuten sind wir da. Jetzt haben wir 4h Wartezeit. In Worten: vier Stunden. Es gibt keine andere Verbindung am Wochenende. Die Haupthalle des Flughafens darf man erst zwei Stunden vor Abflug betreten, wir hängen also in einer Vorhalle ab, sind die einzigen Gäste des einzigen Cafes dort und bringen die einzige Kellnerin ganz schön auf Trapp. Es gibt im ganzen Flughafen, zur Erinnerung: wir sind im internationalen Flughafen St. Petersburg, keine ausländische Tageszeitung zu kaufen.

Zwei Stunden vor Flug dann haben wir Zutritt zur Haupthalle. Aber erst müssen wir durch die Sicherheitsschleuse. Mit allem Gepäck und mit Bodyscan. In Deutschland sind die Dinger ja wegen Persönlichkeitsrechten verboten, hier werden wir bis auf die Haut durchleuchtet. Ich ziehe den Bauch ein, um besser auszusehen; Reiny, unser Backliner, macht den Moonwalk. Natürlich muß ich meinen Koffer ausräumen und den Sicherheitsleuten die Laserhandschuhe erklären. Wir dürfen einchecken und ein Teil der Truppe reist plötzlich BusinessClass. Alle Techniker, aber eben nicht alle Sänger und Bandmitglieder. Später in Helsinki höre ich zufällig wie zwei Bandmitglieder sich darüber aufregen, daß sie normal, wir Techniker aber Business flogen. Mir ist es bei einem 50minütigen Flug fast egal, genieße aber trotzdem die größere Beinfreiheit.

Zu den Privilegien eines BusinessClass – Reisenden gehört, daß man auch in die Business – Lounge darf. Dort gibt es kostenlos Snacks, Getränke und jede Menge Alkohol. Für Letzteres ist es mir noch zu früh, andere sind weniger zimperlich und testen ausgiebig die russische Destillationskunst. Außerdem, fast schon eine Sensation, gibt es deutsche Tageszeitungen. Vom Vortag, aber immerhin. Der Tagesspiegel ist kopiert und kein Original. Die Mädels am Tresen erklären mir, daß die Lounge von den nichtrussischen Fluggesellschaften betrieben würde und daß es deshalb auch etwas anderes als Russisch zu lesen gäbe.

Beim Boarding dann noch ein zweiter Sicherheitscheck. Dieses Mal müssen wir nicht nur Mäntel, Jacken und Gürtel ausziehen, sondern auch die Schuhe. Eine Karawane von Reisenden in blauen Einmalsocken trabt durch die Schleuse, mit einer Hand die rutschende Hose hochhaltend. Ich freue mich, daß wir uns noch nicht bis zur Unterhose ausziehen müssen. Nach dem Metalldetektor werden wir abgetastet. Komplett und überall. Ich bin ein Terrorist.

Beim Betreten der FinnAir – Maschine stelle ich fest, daß auch Frauen über 30 freundlich lächeln können. Nach den Tagen in Rußland ist diese Feststellung sehr erwärmend und ich freue mich über die natürlich – freundlichen Stewardessen um die 40, die ich sonst nicht besonders beachtet hätte.

Bei Tageslicht kann man dann sehen, daß sich der nationale und der internationale Flughafen in St. Petersburg die selbe Landebahn teilen, die auch als Taxiway genutzt wird. Scheint also nicht viel loszusein dort. Da erscheint die Trennung der Gebäude als Reisender natürlich doppelt ärgerlich und auch aus wirtschaftlicher Sicht verstehe ich es nicht. In Zeiten des kalten Krieges mag sowas ja seinen Grund gehabt haben, aber heute ?  Egal, die Maschine nimmt Anlauf, hebt ab, wir sind weg.

Ein Gedanke zu „Goodbye Lenin“

  1. Manchmal ist es vielleicht doch ganz gut ein wenig Zeit zu haben, wenn mit jemand erklärt hätte (bevor ich dort auf Tournee war) das ich sage ich würde immer wieder durch Israel touren, denn hätte ich wahrscheinlich für ziemlich Fantasievoll erklärt.

    Bodyscan gab es zu dem Zeitpunkt auf keinem der Flughäfen, jedoch machte ein weißer „Petzl“ im Handgepäck den Sicherheitsleuten wohl sehr große sorgen, so groß das ich bei der Zwischenlandung Istanbul froh war Türkisch zu sprechen, sonst hätte ich wohl einen Flieger später nehmen müssen…

    Danke für das Nachschreiben, auch wenn Du sehr viel Stress hast und jetzt auch noch krank bist!

    Grüß Berlin von mir (meine Schwesterchen ist auch momentan da),
    Chris

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