Kunst und Selbstständigkeit

Das Künstlerhaus mit Kronleuchter

Auf dem Weg vom Hotel zum Theater komme ich immer am Künstlerhaus Hannover vorbei, vor dem, statt Straßenlaterne, ein fetter Kronleuchter hängt. Gerade nachts, auf dem Rückweg, sieht das immer wirklich schön aus.

Nach dem Photographieren sehe ich, wie die Frau, die Ihr oben mit Kinderwagen und Rucksack seht, beginnt, den Kinderwagen allein nach oben zu zerren. Andere Passanten laufen achtlos daran vorbei. Ich spurte hin und helfe ihr. Sie: „Ich hätte das aber auch allein gekonnt.“ Ich: „Klar, glaube ich, aber es ist doch selbstverständlich, daß ich Ihnen helfe.“ Sie: „Aber ich hätte es auch allein gekonnt.“

Ich finde diese Situation bezeichnend für den Schwachsinn in unserer Gesellschaft. Erst mal rennen alle achtlos aneinander vorbei. Und dann diesen Selbstständigkeitskrampf gerade von Frauen. Diesen Wahn, ja bloß alles allein machen zu können, unabhängig zu sein, sich selbst zu verwirklichen. Ich möchte behaupten: wer wirklich stark ist, kann sich auch helfen lassen, ohne (vermeindlich) sein Gesicht zu verlieren. Aber bis zu dieser Erkenntnis ist’s wohl noch ein langer Weg.

8 Gedanken zu „Kunst und Selbstständigkeit“

  1. hmm, ich denk nicht das es etwas mit Selbständigkeitswahn zu tun hat….auch Frauen stumpfen ab, denn sie müssen erfahren das viele Leute nicht helfen, oder wenn man fragt nur ungern mit anpacken. Ich kenne das aus eigener Erfahrung, selbst Straßenbahnfahrer die verpflichtet sind zu helfen wenn niemand sonst da ist schaffen es einfach die Türen zu schließen und los zu fahren und eine Mutter mit Zwillingkinderwagen im Regen seteh zu lassen

    1. Da scheinen vielleicht beide Dinge zusammenzukommen. Ich selbst jedenfalls kenne in meinem Bekanntenkreis leider sehr viele Frauen, denen Unabhängigkeit (auch in Partnerschaften) über alles geht. Und das in teilweise echt anstrengendem Ausmaß. Daß ich Unachtsamkeit auch nicht toll finde, habe ich ja oben ebenfalls geschrieben. Ich empfinde beides, Unachtsamkeit und den teilweise krampfigen Hang zu Unabhängigkeit, als Negativ.

    1. Vielleicht bin ich auch einfach zu altmodisch; kann ja gut sein. Ich las erst letzte Woche in der ZEIT, daß der Mann der modernen Gesellschaft nicht gewachsen sei. Was für eine arme Gesellschaft muß das sein, in der Menschen aneinander vorbeirennen und das normal ist. In denen Menschen darauf bestehen, daß sie alles allein können und das normal ist. Wenn das die moderne Gesellschaft ist, dann bin ich stolz darauf, ihr nicht gewachsen zu sein.

  2. Komische Reaktion von der Frau. Hängt sicher von persönlichen Erfahrungen ab. Verallgemeinern würde ich das nicht. Aber es ist auffallig das der Egoismus zunimmt. So Kleinigkeiten wie Tür aufhalten oder älteren (also als wir ;) Leuten einen Sitzplatz anbieten. Für uns war das früher selbstverständlich, heute kommt man sich schon Exot vor. Andererseits habe ich gerade in den letzten Jahren viel selbstlose Hilfbereitschaft kennengelernt. Vermutlich habe diese Leute dann auch die Erfahrung gemacht, dass sowas die Lebensqulität für alle Beteiligten steigen lässt. Ein anderer Punkt ist, dass sich viele Leute in der Leistungsgesellschaft schwer tun Schwäche zu zeigen. Zum Beispiel wenn hochqualifizierte Leute bei komplexen Themen einfach mal sagen würden, nö weiß ich nicht wie geht das? . . . Super Thema, aber ich will dich nicht zumüllen :)
    Und der Kronleuter hat was an der Stelle . . .

    Viele Grüsse
    Michael

    1. Du müllst nicht….

      Aber genau das ist es doch. Zeigt es nicht Größe, wenn ich sage: „Tut mir leid, ich habe keine Ahnung.“ ? Ist es nicht stark, wenn ich etwas falsch gemacht habe und es nicht auf jemand anderen schiebe, sondern sage: „Das war mein Fehler.“ ?

      Gesellschaft sind wir. Wir alle. Oder, um es mal in einen aktuellen Slogan zu kleiden: „Du bist Gesellschaft“ (was anderes sagt „Du bist Deutschland“ ja auch nicht). Wir können uns alle über die Härte der Zeit beklagen; aber es liegt an uns, die Zeit zu prägen. Als hart. Oder als zuvorkommend.

  3. Allerdings würde ich spontan eher davon ausgehen, dass die Frau hier durchaus unterscheiden kann, in welchen Fällen sie bei Treppen mit dem Kinderwagen eher Hilfe braucht und in welchen nicht. Zumindest wenn ich meine Kleine im Wagen durch die Stadt bugsiere, gibt das durchaus Unterschiede — und bei solchen 10-Stufen-Treppen bin ich mitunter wirklich schneller, wenn ich da mit dem Kinderwagen drüberhoppel, anstatt dass man zuerst das Anfassen zu zweit organisiert. Langer Rede kurzer Sinn: Ein Kinderwagen muss nicht immer getragen werden – manchmal ist Stufenhoppeln tatsächlich einfacher.

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