„Ich bin heute erst einmal hier, um zu sagen: Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.“
So äußerte sich heute unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Ihrer Pressekonferenz zu diesem Thema. Und dieser Satz paßt genau zu der Entwicklung, die seit einiger Zeit bei unseren Regierenden zu beobachten ist: weit weg vom Grundgesetz.
Osama bin Laden mag beschuldigt sein, unter anderem die Anschläge vom 11.09.2001 in Auftrag gegeben zu haben. Allerdings befinden wir uns — man kann es bei einer solchen Äußerung kaum glauben — in einem Rechtstaat. Und da muß auch, muß gerade auch ein Mann wie bin Laden solange als unschuldig gelten, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Sonst könnte man sich auch irgendwann mal darüber freuen, daß Mörder, Kinderschänder, Räuber, unfähige Politiker erschossen werden. Ohne Verfahren. Gerade von der Bundeskanzlerin als Cheffin des Berliner Kasperletheaters hätte man diese Sensibilität erwarten können. Auf der anderen Seite zeigt es leider einmal mehr, daß man von dieser Kanzlerin gar nichts mehr erwarten kann.
Schon die Formulierung während Obamas Pressekonferenz (bin Laden wurde nicht „during“, sondern „after“ einem Feuergefecht erschossen) hatte mich stutzig werden lassen; mittlerweile melden die Agenturen ganz offen, daß der Einsatz ein Tötungskommando, eine Verhaftung sei nicht vorgesehen gewesen sei (beispielsweise hier). Das paßt zur amerikanischen Rambo – Mentalität und macht dieses Land, das immer voller Pathos von sich behauptet, „freedom and justice“ in die Welt bringen zu wollen, einmal mehr unglaubwürdig.
Ich verabscheue Terrorismus jeder Art aufs Tiefste. Wir können Terrorismus aber nur dann wirklich wirkungsvoll bekämpfen, wenn wir uns nicht der selben Methoden bedienen, wenn wir die Basis unseres Wertesystems nicht während des Kampfes preisgeben. Von daher hätte Osama bin Laden verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden müssen und nicht einfach erschossen. Das ist einer westlichen Demokratie unwürdig.
Bin Laden war in der heutigen Welt des islamisch – orthodox – motivierten Terrorismus‘ zwar ein Vorbild, aber längst aus dem Tagesgeschehen herausgedrängt; er spielte nur noch eine untergeordnete Rolle. Selbst ein verstecktes Weiterleben hätte die Welt nicht wirklich unsicherer gemacht. Die Hinrichtung bin Ladens hingegen wird Hunderte verblendete Menschen motivieren, seinen Tod zu rächen. Somit war diese Mission der Startschuß für eine noch unruhigere Zukunft; sie war der dumme, unvernünftige, animalische Reflex einer Nation, die sich als unentwickelte Zivilisation gezeigt hat. Die Mission machte die Welt nicht zu „a better place“, sondern öffnete die Schleusen zu einer neuen Runde von Gewalt und Gegengewalt.
Schließen wir nun den Bogen wieder zu Frau Merkel. Meiner Meinung nach sollte diese Dame nach so einer euphorischen Äußerung vom Verfassungsschutz überwacht werden. Und mit ihr einige andere Politiker, die heute bewiesen haben, daß sie das Gerüst des Staates, den sie vorgeblich vertreten, schon lange nicht mehr ernstnehmen.
Endlich sagts einer – diese Kritik hab ich heute in der gesamten Medienberichterstattung vermisst. Wenn wir anfangen Tötungskommandos auf die Jagd nach mutmaßlichen Schwerverbrechern gehen zu lassen haben wir Verhältnisse wie zu Zeiten des Dritten Reiches. Und ich gehe wirklich nicht leichtfertig mit so einem Vergleich um. Hier wurden auf einen Schlag alle (!) Regeln des modernen demokratischen Rechtstaats beiseite gewischt. Und Frau Merkel findet das auch noch gut. Man kann wegen mir auch über das militärische Engagement der USA grundsätzlich geteilter Meinung sein, aber das war noch nicht mal das. Das war ein Killerkommando, dass auf dem Terrain eines fremden Staates einen Mord begangen hat – und wenn die Bundeskanzlerin das auch noch gut heisst, hat sie weder aus der deutschen, noch aus der internationalen Geschichte irgendetwas gelernt. Hätte Helmut Schmidt so etwas gesagt, als sich die Führungsspitze der RAF in Stammheim selber (!) das Leben genommen hat – er wäre keine zwei weiteren Tage Kanzler gewesen. Hat er aber nicht – weil er noch zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte.
Viele Grüße,
Thomas
Ich kann Euch da nur zustimmen. Was sich die Politiker weltweit in den demokratischen Staaten da leisten läßt starkes Unbehagen aufkommen. Sogar im UN-Sicherheitsrat (offiziell ja eines der höchsten Gremien dieses Planeten),
„06:53 UN begrüßt Tod Bin Ladens »
Washington (dpa) – Der UN-Sicherheitsrat hat den Tod des Terroristenführers Osama bin Laden ausdrücklich begrüßt. Die 15 Mitglieder des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen verabschiedeten eine präsidentielle Erklärung.“
Inzwischen regt sich zum Glück, wenn auch bisher eher leise, Kritik. Und auch nicht unbedingt an der Haltung unserer Regierungschefin.
http://www.tagesschau.de/kommentar/kommentarschoenenborn100.html
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,760244,00.html#ref=rss
Immerhin hat gestern schon Cem Özdemir darauf hingewiesen, daß ein rechtsstaatliches Vorgehen die Verhaftung und Vor-Gericht-Stellung gewesen wäre.
Ich denke es ist normal, daß zuerst die gehört werden, die laut herausschreien. Wer überlegt Kritik äußert tut dies ja meist nicht in der gleichen Intensität wie die Jubelschreier. Vergleiche mit dem Dritten Reich werden leider bei uns viel zu schnell gezogen. In diesem Fall allerdings die Große Glocke zu läuten, sehe ich durchaus als angebracht.
Alles eine Frage von Werten und Moral. Aber ist unsere zivilisierte, freie und demokratische Moral nicht schon lange in Rüstungsexportbilanzen festzementiert? Und steht da nicht das kleine Deutschland direkt hinter den USA und Russland?
Soweit ich mich erinnere und das mit meinem kleinen Verstand begreifen kann, ist es immer das gleiche Prozedere: Unliebsame Diktatoren oder Terroristen werden bekämpft, indem man „nette“ Rebellen unterstützt (Osama bin Laden, Saddam Hussein usw. usf.). Wenn diese dann zu unliebsamen Diktatoren oder Terroristen geworden sind, werden andere „nette“ Rebellen im Kampf gegen den früheren Freund unterstützt … oder zivilisierte, freie und demokratische Mächte greifen selbst zu den Waffen.
Mein Unbehagen setzte schon lange vor dem gestrigen Tag ein und ich frage mich, wie lange es noch dauern und wie viele Menschenleben es noch kosten wird, bis wir endlich und nachhaltig aus Geschichte lernen. Meine 2 Cent.
Was ich interessant fand – Reinhold Beckmann hat gestern abend den Vergleich zwischen der Bin Laden – Tötung und Mogadishu `77 aufgemacht. So einfach scheint man es sich zu machen – Bin Laden als Geiselnehmer der freien Welt, der mit dem finalen Tötungsschuß am weiteren Töten gehindert werden soll. Ein wirklich seltsames Bild.