Warum ?

Gute Frage: warum wird man eigentlich Veranstaltungstechniker und nicht Förster oder Optiker ?  Förster wollte ich als Kind unbedingt werden. Ich hatte irgend einen Großonkel, den besuchten wir mal und ich war so von grüner Uniform und vor allem von den Jagthörnern fasziniert, daß ich das unbedingt werden wollte. Unbedingt. Zum Üben bin ich dann beim nächsten Karneval als Förster gegangen. Immerhin. Die Faszination hielt aber nur endlich. Optiker sollte ich werden und das lag ja auch auf der Hand. Mein Vater hatte einen eigenen und zu diesem Zeitpunkt gut gehenden Laden; den zu übernehmen wäre sinnvoll gewesen, so machte ich dann auch eine Optikerlehre bei Duisburgs renomiertestem Optiker und später auch meine Meisterprüfung. Da war ich aber schon lange infiziert, denn nebenher machte ich das, was ich eigentlich machen wollte: Tontechnik.

Musik spielte in meinem Leben immer eine Rolle, mit sechs bekam ich Klavierunterricht; und wenn ich auch nicht die Ausdauer hatte, wirklich gut zu spielen (Selbstdisziplin ist nicht meine Stärke), so war mein Klavier doch ein treuer Begleiter. Von Elektronik war ich auch fasziniert und das ausdauernder, als vom Försterberuf. Da war die Kombination von beidem doch eine logische Konsequenz. Die notwendige Spielwiese bot mir jemand, der die ersten Jahre deutlich prägen sollte: Leo Schuhen. Der war weit über die Duisburger Grenzen hinweg bekannter Chorleiter und wirkte in der Nachbargemeinde. Als Achtjähriger nahmen mich meine Eltern mit zu einem Weihnachtssingen dort; das war der Grundimpuls. Leo Schuhen war seit Anfang der sechziger Jahre einer der Begründer des „Neuen Geistlichen Lieds“; die von ihm gestalteten Gottesdienste waren nicht der 593. Abklatsch aus dem Gotteslob (Gesangbuch der katholischen Kirche), sondern mitreißende Messen mit großem Chor, Orchester und, genau, Combo. Das was heute in den Gemeinden Deutschlands als „Jugendgottesdienst“ durchgeht, ist ein billiger Abklatsch dessen, was dort gestaltet wurde. In den Chor wollte ich auch. Und nach langem Quengeln erlaubten es mir meine Eltern. Ich glaube, daß diese Entscheidung mein Leben grundlegend prägte.

Atmosphäre bei der Aufnahme zu Brot, Brot, Brot; Copyright: unbekanntBereits ein halbes Jahr später war ich Teil einer ersten Plattenaufnahme („Brot, Brot, Brot“, ASS 8-5096, die es bis heute für ganze 6€ zu kaufen gibt). Obwohl ich damals erst neun Jahre alt war, kann ich mich noch sehr genau an diesen knallheißen Sommertag erinnern, an die Atmosphäre bei der Aufnahme in der extra für diesen Zweck umgebauten Kirche in Ungelsheim, an die Technik, die überall hing und stand, an die Kabel überall. Ich war von beidem schwer beeindruckt: ein Teil eines vielleicht 400 Mann starken Chores zu sein und die Technik zu erleben, die eine solche Aufnahme zu einer richtigen, echten, eigenen Schallplatte ermöglichte. Der Moment, als ich ein paar Wochen später mein Exemplar in die Hand gedrückt bekam, war sehr erhebend. Daß ich ein völlig unbedeutender Teil der Aufnahme war, kam mir nicht in den Sinn; ich war stolz wie Oskar.

Dazu kam die Tatsache, daß ich Musik erlebte, die es zuhause nicht zu hören gab: moderne Musik mit Schlagzeug, E – Gitarren und Baß. Mein Vater hörte ausschließlich Klassik, meine Mutter Volksmusik (also echte Volksmusik, keine volkstümliche) und ab und an ein paar Schlager. Es sollten im Laufe der Zeit noch ein paar Plattenaufnahmen dazukommen (die es heute allerdings alle nicht mehr gibt). Dabei war die Faszination immer gleich hoch und ich wollte das unbedingt auch können: selber Platten machen.

Auch wenn meine Fortschritte am Klavier nicht wirklich überragend waren, ich später die Lust daran verlor und auf „coolere“ Instrumente wie Gitarre und Baß umschwenkte: der Chorleiter versucht, alle immer mit ihren Fähigkeiten zu integrieren. Und so spielte ich im Laufe der Jahre durchaus viele Gottesdienste an E-Orgel, E-Gitarre und E-Baß. An letzterem wurde ich sogar sowas wie eine Stammbesetzung und schaffte es, ich glaube es war 1984, bis in den Abschlußgottesdienst des Katholikentages in München. Es können nicht viele Musiker von sich behaupten, im ausverkauften Olympiastadion gespielt zu haben. Letztlich war die Musiziererei aber eher Mittel zum Zweck: ich wollte die Technik auf- und abbauen, wollte sie verstehen, verbessern, damit arbeiten.

Genau das wurde mein Job. Immer wenn es einen Gottesdienst zu spielen gab war ich derjenige, der die erforderliche Technik handelte. Nebenher kümmerte ich mich auch um die Kinder- und Jugenddisko im Keller des Pfarrheims, baute Lichtorgeln selbst, Mischpulte, lötete Kilometer an Kabeln. Das war meine Welt und man lies mich gewähren, unterstützte mich sogar. Schule, Lehre und später die reguläre Arbeit: ja, es gab sie, aber sie waren in meinen Gedanken nie wirklich wichtig. Als junger Erwachsener, ich mischte mittlerweile die ein oder andere lokale Band, kaufte ich mir ein eigenes Pult (Mitec EX 40-8-2; aus heutiger, professioneller Sicht natürlich kein dolles Pult, aber als Amateur ein echter Traum), modifizierte es mit rauscharmen ICs und traffosymetrierten Ausgängen, hatte eine eigene kleine PA (EV 15-3 mit aktiv gesplitteten 18er Bässen) mit allem, was da so zugehörte. Und mit meiner Band ein kleines, in den Kellern des Pfarrheims eingebautes Studio mit mehreren Räumen, richtigem Noppenschaum (und keine Eierkartons) an den Wänden. Ich fuhr erste kleine Touren. All dies lief aber parallel zu meiner Optikerei.

Irgendwann kam der Bruch. Ich konnte einfach nicht mehr irgendwelchen Omas ihre Brillen verkaufen. Mir fiel es zunehmend schwerer, all den Schwachsinn, den man sich als Verkäufer anhören muß, freundlich zu ertragen. Mein Privatleben war eine Katastrophe. Ich mußte raus. Ich segelte. Lange.

Großseglersegeln ist eine hervorragende Sache. Es macht wirklich Spaß und es holt einen in die Welt zurück. Vielleicht, weil man ganz oft außerhalb der Welt, irgendwo auf dem Wasser, lebt. Und danach stand der Entschluß fest: keine Optik mehr, nur noch Technik. Den Entschluß habe ich nie bereut.

Nun fragt Ihr Euch wahrscheinlich: warum zum Teufel erzählt der Sorger uns das ?  Der Grund ist einfach: vor ein paar Wochen wurde Leo Schuhen, der Mann, dem ich im Grunde meinen jetzigen Beruf verdanke, 80 Jahre alt. Ich habe den Kontakt seit 12 Jahren verloren, er wurde pensioniert, ich zog nach Hamburg und so wurde ich natürlich auch nicht eingeladen. Aber über Umwege erreichte mich die Nachricht doch. Ich nahm mir vor, mal die alten Platten herauszukramen und sie zu hören. Das tat ich vor zwei Wochen; ausführlich. Und ich war tief berührt davon, wie stark die Erinnerungen daran noch sind, wie sehr mich diese Musik geprägt hat und wie sehr ich sie bis heute mag.

Damit Ihr mich ein wenig verstehen könnt, wollte ich die oben bereits erwähnte Schallplatte „Brot, Brot, Brot“ hier zumindest in Teilen hörbar machen. Leider reagierte die Edition Werry Verlagsgesellschaft trotz mehrfacher Anfrage gar nicht, so daß ich nun den Artikel mit nur kurzen Schnipseln einstellen kann. Die Aufnahme ist von 1974; das werdet Ihr natürlich merken. Aber überlegt mal, wie es heute so zugeht in Euren Kirchen.

An dieser Stelle ganz herzlich gratulieren möchte ich auch Leo Schuhen. Ich weiß, daß ich nicht der Einzige bin, dessen Leben Sie ganz deutlich in Richtung Musik geprägt haben. Danke dafür und Ihnen alles Gute.

9 Gedanken zu „Warum ?“

    1. Sorry, aber nachdem ich mir die Aufzeichnungen angehört habe, verstehe ich Deinen Satz „Aber überlegt mal, wie es heute so zugeht in Euren Kirchen.“ nicht mehr.

      Anscheinend warst Du so lange nicht mehr in einer Kirche oder Gemeinde, dass Du gar nicht weißt, wie es dort zugeht. Denn gegen heutige zeitgemäße Kirchenmusik sind Deine drei Hörproben eher als Schlaflieder zu verstehen.

      1. Wenn Du in einer Gemeinde bist, in der es tatsächlich „knallige“ Musik gibt, dann herzlichen Glückwunsch. Meiner Erfahrung nach besteht der „Jugendgottesdienst“ aber in 95% aller Kirchen maximal aus zwei auf einer Konzertgitarre schrammelnden Menschen. Natürlich gibt es positive Ausnahmen und mittlerweile ja richtige professionelle christliche Bands. Leider ist das nicht der Regelfall.

        1. Naja .. es ist inner Kirche halt doch wie überall ..

          es gibt wenige professionelle und viel „Krimskram“
          Aber ich glaube das ich hier behaupten darf das die Anteile an den „Proffs“ seit deiner Jugend doch sehr stark gestiegen ist ;)

  1. Standard-Formation bei uns: Schlagzeug, Bassgitarre, Piano oder Keyboards, elektrische oder akustische Gitarren.

    Du musst halt aufpassen, dass Du nicht nur in die langweiligsten Landeskirchen reinguckst. Schau‘ Dir mal ein paar gute freie Gemeinden an. Die kleben nicht so an ihrer langweiligen Liturgie.

  2. Ich kann Dirk nur zu stimmen das diese aus heutiger Sicht zustimmen, vorallem wenn Hillsong usw kennt. Aber in der damaligen Zeit muss dat Topmodern gewesen sein. Die Soundschnippsel haben mehr pfiff als man in den meisten landeskirchlichen Gottesdiensten hört.
    Nun aber mal zur aktuellen freikirchlichen Musik.
    Bei uns spielt idR Sonntags folgende Instrumente Klavier Schlagzeug (akustisch),Trommel, E-Gitarre, A-Gitarre und nen E-Bass. Ab und an auch ne Flöte und nen Cajon.
    Gesungen wird hauptsächlich deutsch und englisch, bunt durch Pogramm von Amazing Grace über Feiert Jesus! bis hin zu Mighty to Save von Hillsong.

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