Copyright: MarineTraffic.com/Google
Der ein oder andere aus meinem Bekanntenkreis weiß, daß ich mal zur See gefahren bin und so bekomme ich in diesen Tagen eine Menge Mails mit Fragen zum Unglück in Italien. Weil ich gerade beruflich eine Menge zu tun habe, möchte ich die Antworten hier mal zusammenfassen.
Jeder hat schonmal vom Untergang der Titanic gehört. Dieses Unglück eines Schiffes, das als absolut modern und sicher galt, war für die damalige Zeit so gravierend, daß es im Nachgang eine ganze Reihe von Tagungen gab, die sogenannten Titanic – Konferenzen, bei denen diskutiert wurde, was denn eigentlich alles schiefgelaufen war und wie man solche Pannen in Zukunft vermeiden könne. Der uns heute allen bekannte Notruf SOS (save our souls) ist zum Beispiel ein Ergebnis dieser Titanic – Konferenzen; davor gab es keinen einheitlichen Notruf. Die Titanic beispielsweise funkte damals nie SOS, sondern CQD (come quick, danger), einen Ruf, den es seitdem nicht mehr gibt. Am Ende der Konferenzen stand ein internationaler Sicherheitsvertrag für die Schifffahrt, SOLAS (safety of life at sea), der im Grunde bis heute gilt — wenngleich natürlich in regelmäßig überarbeiteter Form. In SOLAS und den Ergänzungsprotokollen ist sehr genau festgelegt, wie ein Schiff sicherheitstechnisch gebaut und ausgerüstet werden muß und wie Schulungen auszusehen haben, die das Schiffspersonal zu durchlaufen hat. Schiffe und Besatzungen, die diesen Vorschriften nicht entsprechen, können (und werden in westlichen Ländern) so lange stillgelegt, bis die Mängel abgestellt sind.
Das sogenannte Basic Safety Training muß faktisch jeder, der auf einem Schiff arbeitet, auch und gerade Servicekräfte, durchlaufen haben. In diesem 80stündigen Training lernt man grundlegende Kenntnisse unter anderem über Sicherheitsvorschriften, Brandbekämpfung und Evakuierung. Darüber hinaus muß jedes Crewmitglied ausführlich in die Situation des jeweiligen Schiffes eingewiesen worden sein.
So weit die Theorie.
Wenn ich mir Videos aus dem Schiff anschaue, dann … nun … scheint das ein oder andere Crewmitglied die Inhalte seiner Schulung vergessen zu haben. Um das mal freundlich zu formulieren. Daß das in dieser Form auf einem westlichen Schiff passiert, finde ich … interessant. Ich hoffe für alle Beteiligten, daß sich im Nachgang des Unglücks nicht herausstellen wird, daß die Servicekräfte zwar die Papiere haben, aber nie den Kurs besucht. Das fände ich fatal.
Die Reederei behauptet aktuell, die vom Kapitän gewählte Route „innen“ an der Insel vorbei widerspräche den internen Vorschriften und in der Verwaltung habe niemand davon Kenntnis gehabt, daß die Schiffe der Reederei diese Route regelmäßig fahren. Auch diese Behauptung finde ich … interessant. Dank AIS (automatic identification system) kann heute jeder Laie im Internet nachschauen (zum Beispiel hier), wo jedes X-beliebige seetaugliche Schiff der Welt gerade herumdümpelt und man kann sich auch Fahrrouten anzeigen lassen; die letzten Daten der Costa Concordia im AIS – System seht Ihr auf dem Bild am Anfang des Artikels, das man auch größer klicken kann. Darüber hinaus hat jede Reederei heute ein sehr genaues Controling, bei der natürlich ausgewertet wird, wie und wo ein Schiff fährt. Sollte dies bei Costa nicht der Fall sein, dann wäre das … ungewöhnlich.
Zu guter Letzt ist der Kapitän der Meinung, der gerammte Felsen habe nicht in seiner Seekarte gestanden. Sowas ähnliches kennen wir alle ja auch. Da haben wir die Route von Hamburg nach Amsterdam in unseren Routenplaner eingegeben, den wir 2007 ganz stolz erstanden hatten und dann lotst er uns einen gigantischen Umweg, weil das Gerät das neue Autobahnteilstück noch nicht kannte; blöderweise sind ja die Kartenupdates immer so teuer und darum haben wir nie eines gekauft. Was beim Autofahren im Zweifelsfall lästig ist, ist in der Schifffahrt stumpf verboten. Ich muß neben der Software immer noch papierne Karten mit dabei haben und vor allem muß ich mein Kartenmaterial ganz regelmäßig bei dazu befähigten und zugelassenen Betrieben auf den neuesten Stand bringen lassen. Wenn ich dazu befragten Kapitänen glauben darf, dann ist der Felsen auf aktuellen Korrekturen durchaus eingezeichnet.
Von vielen Passagieren wird bemängelt, daß die Crew eine Stunde lang immer nur von einem technischen Defekt geredet habe und nicht davon, daß das Schiff volllaufe. Das wiederum kann ich zumindest ansatzweise verstehen. Der Kapitän hatte befohlen, nach dem Unfall zu drehen und im nahen Hafen einzulaufen. Er war sich sicher, daß man das schaffen würde und wollte so Panik unter den Passagieren vermeiden. Leider ging sein Plan um wenige hundert Meter nicht auf und so fehlte die Zeit dann für eine geordnete Evakuierung. Drehen wir die Situation mal um; nehmen wir mal an, das Schiff hätte es geschafft, im Hafen einzulaufen und alle Passagiere hätten gemütlich von Bord gehen können. Hätte der Kapitän dann direkt nach dem Unfall verlauten lassen, daß das Schiff leckgeschlagen sei und Wasser mache, wären mit Sicherheit auch Passagiere in Panik von Bord gesprungen und dann vielleicht ums Leben gekommen. Dann hätte man ihm vorgeworfen, wegen fehlerhaftem Umgang mit der Situation Panik nicht verhindert zu haben. Es war also ein schwierige Entscheidung, bei der er nur verlieren konnte.
Auf der anderen Seite ist es seerechtlich tatsächlich schwierig, wenn ein Kapitän bei einem Unglück faktisch als erster von Bord geht, die Rettungsmaßnahmen nicht leitet und auch trotz mehrfacher Aufforderung der Rettungskräfte nicht auf sein Schiff zurückkehrt.
Viele Detailfragen die mir gestellt wurden kann ich nicht beantworten, weil ich einfach nicht vor Ort dabei war; da möge man mir dann verzeihen, daß ich mich dazu nicht äußern kann.